Testspiele - Saison 1909/1910 - 3. Spieltag - Sonntag 02.01.1910  - 14:15 Uhr
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Spieldaten

Aufstellung

Victoria Hamburg: Rinsch – Eskildsen, Frankenthal – Kunkel, Mohrdieck, J. Witt – Gehrts, Lichtenberg, Garrn, O. Witt, O. Zilgas

Alemannia Aachen: Laumen – M. Breuer, Riechert – J. Boeven, Roolf, Essers – Wolff, T. Boeven, H. Wollgarten, J. Wesché, Rex

Tore

0:1 Rex, 0:2 Boeven, 0:3 Rex, 0:4 Wolff, 1:4 Zilgas

Schiedsrichter:

Kalkhorst (Hamburger FC 1888)

Zuschauer:

1.000 (in Hamburg-Hoheluft)

Besondere Vorkommnisse:

Alemannia schießt Elfmeter neben das Tor (vor dem 0:2) – Gehrts schießt Elfmeter neben das Tor (vor dem 1:4)

2.1.1910: Victoria Hamburg - Alemannia Aachen 1:4

– Aus dem tiefsten Schlummer weckt uns am anderen Morgen das Klopfen der Hausknechte. Schnell aus den Federn heraus, und dann eilen wir hinunter zum Frühstück, denn die Hamburger Herren uns um 1/2 10 zur Hafenbesichtigung abholen. Sie treffen auch pünktlich ein; der Tram bringt uns zum Freihafen, wo die Pinasse des Herrn Zilgas sen. liegt. Herr Zilgas erwartet uns schon, und nach Ankunft noch einiger Herren von der "Victoria" setzt sich das Boot in Bewegung, auf dem ausser ideellen auch materielle Genüsse geboten werden.

Die Fahrt durch den Hamburger Hafen bietet etwas ganz anderes als die durch den Kieler. Dort sahen wir unsere grössten Kriegsschiffe, hier zeigen sich uns Handelsschiffe und die schwimmenden Paläste der Hamburg-Amerika-Linie. Wir fahren an Dampfern und Segelschiffen aus aller Herren Länder vorbei, sehen u. a. das grösste Segelschiff der Welt, den Fünfmaster "Preussen", bewundern die riesenhaften Dockanlagen von Blohm und Voss und kommen an die Anlegestelle der vorgenannten Ueberseelinie, um den vor Anker liegenden Schnelldampfer "Amerika" zu besichtigen. Welch ein gigantischer Bau! Kann doch dieser Koloss 4000 Menschen in sich aufnehmen. Man zeigt uns die luxuriös eingerichteten Cajüten I. Klasse, mit den dazu gehörigen Räumen und Sälen, auch ein Wintergarten ist dabei; ferner die Wohnstätten II. Klasse, die für gewöhnliche Sterbliche auch noch vollauf genügen. Dann hat dieser Dampfer Cajüten und Speisesaal III. Klasse, die zum wenigsten das Prädikat "anständig" verdienen. Jedoch nicht anheimelnd sind die Räume, in denen die 2300 Zwischendeck-Passagiere eingepfercht werden. Nach kurzer Besichtigung der riesenhaften Maschinen ist es schon wieder Zeit zur Rückfahrt geworden. Wir verlassen die Amerika und begeben uns zu unserer kleinen "Nussschale" zurück, die uns zur Stadt befördert. Unterwegs attakiert uns noch ein Zollkutter, von welchem wir auf Contrebande untersucht werden. Im Hôtel beim Mittagessen zeigen die Alemannen diesmal eine anerkennenswerte Mässigkeit, um nachher das Leder besser treten zu können.

Eine halbstündige Tramfahrt bringt uns hinaus zum Platz. Das Spiel beginnt pünktlich 1/4 nach 2 Uhr, die Aufstellung ist dieselbe wie gestern. Ueber das Spiel selbst lasse ich einen Bericht aus den "Hamburger Nachrichten" folgen:

"Der gestrige Nachmittag brachte bei nicht gerade günstigem Wetter ein interessantes Spiel auf dem Victoria-Sportplatz in Hoheluft. Der Fussballklub Alemannia aus Aachen stand dem Hamburger Sportklub Victoria von 1895 gegenüber. Viktoria musste mit sechs Ersatzleuten aus der zweiten Mannschaft antreten, wodurch die Aussichten auf einen eventuellen Sieg bedeutend herabgemindert wurden. Dem Schiedsrichter Kalkhorst vom Hamburger Fussballklub von 1888 stellen sich folgende Mannschaften: [...]

Viktoria hat Anstoss, aber die etwas ungünstigere Seite, indem gegen Wind gespielt wurde. Ein flottes Tempo wurde von beiden Gegnern angeschlagen und bis zum Schluss durchgehalten. Alemannia kam gleich auf und vermochte in der fünften Minute durch Rex das erste Tor zu buchen. Nach Wiederanstoss brachte die nächste halbe Stunde nichts Zählbares auf beiden Seiten. Der Kampf wurde energisch durchgeführt, wobei abwechselnd Victoria und Alemannia zeitweilig drückten. Im allgemeinen blieb das Spiel offen. Ein den Gästen zuerkannter Elfmeter wurde vorbeigeschossen. Alemannia holte dann aber wieder auf und konnte durch Boeven II in der 35. Minute zum zweiten Male sicher einsenden. Nach Wiederbeginn bemächtigten sich die Gäste sofort des Balles und eine Minute später sass durch Rex das dritte Tor. Vergeblich war jetzt die Mühe der Hamburger, ein Tor zu erzielen, da die gefährlichen Bälle von dem gegnerischen Torwächter gut gehalten wurden. Dagegen vermochte Alemannia durch Wolff in der 42. Minute zum vierten Male das Leder ins Hamburger Tor zu befördern. Bis zur Pause blieb es dann bei dem Stande 4:0 für Alemannia.

Nach Seitenwechsel und Anstoss der Gäste wurde das gleiche Tempo angesetzt. Victoria holte nun gut auf und blieb auch während der ganzen zweiten Hälfte stark überlegen. Abgesehen von mehreren guten Durchbrüchen Alemannias kam der Kampf auf der Spielhälfte der Gäste zum Austrag. Ein für Victoria gegebener Elfmeter wurde von Gehrts vorbeigeschossen. Die erste halbe Stunde brachte mehrere kritische und günstige Momente vor Alemannias Heiligtum, wobei die aufs Tor gegebenen Bälle sicher von dem Torwächter und der Verteidigung zurückbefördert wurden. In einem dann entstehenden Gedränge konnte O. Zilgas, nachdem der Ball von Alemannias Torwächter vorher gehalten war, das erste Tor und zugleich das Ehrentor erringen. Obgleich Alemannia gegen dieses Tor protestierte, da der Ball angeblich mit der Hand hineingeschlagen sein sollte, gab der Schiedsrichter doch das Tor für Victoria. Die letzte Viertelstunde zeitigte noch mehrere gefährliche Durchbrüche der Gäste, die an der Verteidigung und dem Torwächter Victorias scheiterten. Aber auch die Hamburger vermochten im weiteren Verlauf des Kampfes bis zum Schluss nichts mehr zu erzielen. Das Spiel kam von beiden Parteien ruhig und abwechslungsreich zum Austrag. Victoria nahm verschiedene Umstellungen vor, die aber auch kein positiveres Ergebnis brachten. Rinsch im Tor war ganz gut, ebenfalls Mohrdieck, der unermüdlich arbeitete. Gehrt und Frankenthal gaben ihr Bestes heraus, fangen aber nicht genügende Unterstützung. Von Garrn hat man schon bedeutend bessere Leistungen gesehen. Alemannia zeigte ein gutes Kombinations- und Zusammenspiel und tat jeder Spieler sein Möglichstes, um den Sieg zu erringen. Als die bessere Mannschaft im Felde hat sie denn auch den Erfolg voll und ganz verdient. Das Endresultat Alemannia Aachen gegen die Hamburger Victoria war 4:1, Halbzeit 4:0 Eckenverhältnis 10:4, erste Hälfte 5:3."

Dazu bemerke ich, dass ich an die 6 Ersatzleute nicht recht glaube. Andere Zeitungen, Sportblätter sprechen von 5, mündliche Ueberlieferungen von 4 Ersatzleuten. Wer kann da wissen, wieviel es wirklich gewesen sind, zumal der berühmte Torschütze Garrn und der Rechtsaussen Zilgas doch dabei waren. Dieselben wurden aber während des Spieles von unseren Leuten derart gedeckt, dass sie sehr wenig zu Schuss kamen. Ich selbst habe die Alemannen selten so gut spielen sehen, und Laumen im Tor hatte einen seiner besten Tage. Jedenfalls hat der Ausgangs des Spiels die Hamburger so überrascht, dass noch am Abend auf der Kneipe keine rechte Stimmung aufkam. Uebel bemerkt wurde von ihnen selbst die "Missetat" des Rechtsaussen Zilgas, der das einzige Tor tatsächlich mit der Hand verwandelt hatte und dies auf dem Platz nicht eingestand.

Nach dem Spiel begaben wir uns bald zur Stadt zurück, besuchten zusammen das grosse Dammtor-Caffé und fuhren darnach zur Kneipe, die in einem sehr schönen Restaurant auf St. Pauli stattfand. Wie aber schon vorher erwähnt, das echte, rechte war es nicht. Flüssigkeit wurde genug zu sich genommen, auch Lieder gesungen. Ferner stiegen Vorträge von Hamburger und Aachener Humoristen, sodass keine Langeweile eintrat. Schnell eilten die Stunden dahin, und die Zeit kam, wo die Mehrzahl von uns abfahren musste. Drei Spieler, Riechert, Roolf, Wolff und der Trainer blieben zurück, um Hamburg bei Nacht und auch noch am Tage gründlich kennen zu lernen.

Dieses vierblätterige Kleeblatt leistete sich dann an dem Tag ein wahres Baronenleben. Den Vormittag füllte die Besichtigung des Hagenbeck'schen Tierparkes in Stellingen aus. Nach Hamburg zurückgekehrt wurde ihnen bei unserem früheren Mitgliede Albert Graf ein opulentes Mittagsmahl gestiftet. Sehenswürdigkeiten, so das Kaiser-Wilhelm- und Bismarck-Denkmal, Ratshaus mit Ratskeller und andere Sachen nahmen die übrige Zeit in Anspruch, bis auch ihnen die Stunde schlug, wo sie der alten Hansestadt Lebewohl sagten.

Erlaube ich mir nun zum Schluss ein Urteil über den Verlauf der Reise, so kann ich wohl behaupten, dass derselbe ein voller Erfolg für die Alemannia ist. Das verlorene Spiel gegen "Holstein" fällt gar nicht so sehr ins Gewicht gegen das in so überreichem Masse Gesehene und Gebotene. Wenn die Kieler uns ihren Gegenbesuch abstatten und sind 650 km mit der Bahn gerutscht, dann wird es höchst zweifelhaft sein, ob ihnen in der Kaiserstadt Aachen die Palme des Sieges winkt.

(Nachrichtenblatt d. F.C. Alemannia, No. 2 / 16. Januar 1910)

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