Do, 8. September 2016

"Das Ende der Strafrunden"

Kolumne von Sascha Theisen zum Heimspiel gegen Viktoria Köln

Nichts verklärt sich mit den Jahren mehr als die eigene Vergangenheit. Was früher war, ist heute nicht mehr wahr. Nirgendwo merke ich das mehr als auf dem Fußballplatz, auf dem ich zwei Mal pro Woche einem Haufen vorpubertierender 11-jähriger versuche etwas beizubringen, in dem ich einst selbst mehr wollte als ich konnte: Fußball. Trotzdem kämpfe ich einen aufrechten Kampf gegen Fehlpässe, Schlendrian und Grätschen.

Geht etwa einer meiner Jungs im Training frei aufs Tor zu und einer meiner Verteidiger macht sich auf, ihn noch vor dem Torschuss weg zu grätschen, bin ich es, der beschwörend und in bester Trainer-Lautstärke aufs Spielfeld ruft „Auf den Beinen bleiben! Auf den Beinen bleiben!“ Bleibt er tatsächlich dort, bekommt er mein wohlverdientes Lob. Bleibt er nicht, weht ihm der Wind der trainerlichen Ansage entgegen: „Du nimmst Dich nur selbst aus dem Spiel!“. Noch schlimmer als die Verteidiger trifft es während unserer gemeinsamen Übungsstunden die selbst ernannten Künstler, Künstler so wie Olli einer ist. Olli, der eigentlich einer meiner Lieblingsspieler ist, weil er das Spiel und das Leben liebt. Er hat zwar kein Faible für die Blutgrätsche, dafür aber für den gepflegten Hackentrick. Egal in welcher Situation: Olli streichelt den Ball am liebsten mit seiner Ferse, immer – im Aufwärmspielchen genauso wie mitten in einer Passübung , im Trainingskick oder im echten Spiel. Sein Vater sagt dann, dass er sich eben ausprobiert. Ich habe eher das Gefühl, dass er mich damit ausprobiert – etwa dann, wenn er den Hackentrick frei vor dem gegnerischen Tor auspackt und dann natürlich scheitert. Um ihm die Flausen auszutreiben, greife ich bei fast jedem Hackentrick auf die gute alte Trainerschule zurück und ordne eine Strafrunde nach der anderen an – ein Instrument, das bei 11-Jährigen erstaunlich gut funktioniert.

Was weder Olli noch seine Mannschaftskameraden ahnen: Ich ging einst als „Die Grätsche“ in die Geschichte der zweiten Mannschaft des TSV Stockheim 09 ein. Dazu ließ ich kein Training zu Ende gehen ohne wenigstens einen Beinschuss oder einen Hackentrick zum Besten zu geben und anschließend lautstark bis in die Kabine hinein zu feiern. Was der Trainer dazu sagte, interessierte mich herzlich wenig, wusste ich doch: Auf den Beinen bleiben sollen ruhig die anderen. Wie gesagt: Nichts verklärt sich mit den Jahren eben mehr als die eigene Vergangenheit.

Und weil es so ist wie es war, freute ich mich mächtig als Carl seinen besten Kumpel Olli letzten Freitag dazu überredete mit uns zum Tivoli zu fahren, um dort eine ihm noch völlig unbekannte Mannschaft namens Alemannia Aachen anzuschauen. Ganz entspannter Spieltagvater und für einen Abend kein bisschen Trainer kaufte ich jedem der Jungs eine Cola und eine Stadionwurst und ging mit ihnen zur Sitzplatzschale der Wahl. Ich war zwar einigermaßen gespannt, wie Olli das Spiel und die Mannschaft unserer Herzen finden würde, war mir aber sicher, dass er hier nichts finden würde, was ihn irgendwie beeindrucken könnte.

Doch dann nahm das Spiel seinen Lauf. Eine schnelle 2:0 Führung, die von Carl und mir mit einem ungläubigen Blick und ekstatischem Jubel gefeiert wurde, während Olli wohl dachte, das sei hier immer so. Kein Vorwurf. Er konnte ja nicht wissen, dass so ein Spektakel ganz und gar nicht üblich ist an diesem Ort – viel weniger üblich jedenfalls als der darauf folgende 2:2 Ausgleich der Bonner in der zweiten Halbzeit. Und so schien zu kommen, was ich schon vorher zu ahnen geglaubt hatte: Ollis erster Besuch am Tivoli dürfte wohl auch sein letzter gewesen sein –  bis, ja bis die Flanke vom rechten Flügel in den Bonner Strafraum segelte und in der Mitte ein Mann namens Hammel den Ball weder mit dem Vollspann noch mit dem Innenrist auf das gegnerische Tor bugsierte. „Du Hammel“, wollte ich noch, völlig überwältigt vom einzigartigen Wortwitz, der dieser Spielsituation beiwohnte, ins Spielfeld rufen. Doch dann passierte, was scheinbar nur passieren konnte, weil Olli neben Carl und mir saß. Hammel packte seine rechte Hacke aus und schickte das Leder auf diese für den Tivoli so unübliche Art zum viel umjubelten Heimsieg in die Bonner Maschen. Ich glaubte nicht, was ich sah, jubelte aber umso ausgelassener und als ich dabei wie beiläufig zu Olli rüber schaute, sah ich das überlegene Lächeln eines stillen Siegers, das so etwas ausdrückte wie „Na Trainer – Strafrunde?“ Ich wusste, was er dachte und er hatte Recht.

Als wir nach dem Spiel in den Fanshop gingen, um die neuen Trikots abzuchecken, schlenderte Olli, der bis zu Hammels Tor noch ehrlich geglaubt hatte eigentlich Fan des 1. FC Köln zu sein, durch die Gänge. Nach gut fünf Minuten kam er zu mir und bat mich um Rat, welchen Alemannia-Schal er sich kaufen solle. Ich beriet ihn nach bestem Wissen und er kaufte sich bei seinem ersten Alemannia-Spiel seinen ersten Alemannia-Schal. Nichts verklärt sich so wie die eigene Vergangenheit – es sei denn es ist der Moment, in dem ein Tor mit der Hacke erzielt wird, zu schön für Verklärung. Viel mehr: die perfekte Erinnerung, ganz ohne Strafrunde.

 

Die Kolumne von Sascha Theisen gibt es am Samstag auch im Tivoli Echo. Das offizielle Stadionmagazin der Alemannia ist am Spieltag im Fanshop oder an den Eingängen beim Team Tivoli erhältlich.

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