Die Kolumne von Sascha Theisen zum Heimspiel gegen den SC Verl
Als wir morgens um halb fünf ziemlich beschwingt unsere Jacke beim Garderobenmann in dieser Berliner Kellerkneipe abholten, um endlich ins Hotel nach Hause zu gehen, machten wir mit ihm unsere besoffenen Witze. Wir hatten solche verbalen Albernheiten zu dieser Zeit perfektioniert. Saßen wir etwa seinerzeit in einem Taxi auf dem Weg nach Hause war es unser immer wiederkehrendes Spiel, den Fahrer so lange zu bequatschen bis er uns resignierend das Funkgerät überließ, damit wir Funksprüche wie „Achtung: Funkdisziplin einhalten!“ oder „Alle ordnen bitte: Die Eins auf die Vier, bitte“ direkt dort hinein posaunen konnten. Wir freuten uns diebisch, wenn die dicke Frau in der Taxizentrale (jedenfalls stellte ich sie mir immer sehr dick hinter einem zu viel kleinen Schreibtisch vor) wütend und böse ins Mikro keifte und nach dem Urheber des Funk-Radaus fragte.
Ähnliche Witze machten wir nun auch mit diesem Mann an der Garderobe im Mai 2004. Wir sangen ihm Alemannia-Lieder im Kanon vor und erzählten ihm, dass George Mbwando sowieso einer der ganz Großen sei. Der Garderobenmann ließ die Kalauer locker über sich ergehen, wartete geduldig mit unseren Jacken in der Hand bis wir alles raus gelassen hatten, was er nicht hören wollte und schenkte uns dann einen väterlichen Blick – ohne auszuweichen, direkt in unsere albernen Augen hinein. Und während die tosende und alkoholbenetzte Welt um uns herum plötzlich für ein paar Sekunden still zu stehen schien, sagte er eindringlich und etwas nachhallend: „Macht es Euch nicht kaputt! So schnell bekommt Ihr so ein Spiel nicht mehr!“ Ganz so als hätte er uns eine vorab schon heilende Hand aufgelegt, wurden wir von einer Sekunde auf die andere nüchtern und lagen nur wenige Augenblicke später friedlich schlummernd in unseren Hotelbetten, in denen wir am nächsten Tag völlig ohne zerschmetternden Kater wach wurden, um Alemannia im Pokalfinale zu sehen.
Es wurde ein unvergesslicher Tag in Berlin, der auch dann nicht perfekter hätte sein können, wenn wir den Platz als Pokalsieger verlassen hätten. Dank des Garderobenmannes waren wir vom ersten Moment an mit vollem Bewusstsein und topfit dabei, was niemand hätte ernsthaft erwarten können, der uns vor dem Gang zur Garderobe auf der Tanzfläche dieser Kellerkneipe gesehen hatte.
Auch jetzt tranken wir viel, lachten viel, schrien viel. Und selten war es geiler Alemannia-Fan zu sein als an diesem Samstag in Berlin. Wahrscheinlich stand auch deshalb genau das wie eine Überschrift über der gesamten Kurve, die brannte, hoffte, träumte wie kaum eine andere davor oder danach. Viel davon muss mit diesem Typen an der Garderobe zu tun gehabt haben, der offenbar schon lange vorher wusste, wie groß dieser Tag war und wie oft wir uns noch daran erinnern sollten. Vielleicht war er nur für diese eine Sekunde an dieser Garderobe gewesen – so was wie eine göttliche Erscheinung, die überall und nur dort erscheint, wo Menschen im Begriff sind, sich mit deutlich zu viel Alkohol etwas Bedeutendes kaputt zu machen. Einsatzgebiete: Junggesellenabschiede am Vorabend der eigenen Hochzeit, Schnapsverkostungen am Abend vor einem Schlammcatchen mit schwedischen Topmodels oder eben alberne Trinkgelage vor einem Pokalfinale.
Gestern gewann Alemannia in einem Kaff namens Troisdorf 3:0 gegen einen Bezirksligisten aus Bergheim. In der Runde davor ging es auf einem anderen trostlosen Sportplatz am Fuße einer einschlägigen Karnevalshalle gegen die Vertretung eines Ortes namens Lindenthal-Hohenlind. Dort hieß es am Ende 6:2 für Alemannia. Unspektakuläre Spiele gegen uninteressante Gegner. Es waren Spiele, die ich auch deshalb nur auf Facebook über die Live-Funktion verfolgte. Irgendjemand hielt in Hohenlind und Bergheim sein Handy hoch und ich schaute es mir an, was man beides auch erst mal machen muss.
Umso schöner nach all der Trostlosigkeit in Hohenlind und Bergheim ist, dass sich Alemannia damit schon in das Viertelfinale eines Wettbewerbs gespielt hat, der am Ende ganz vielleicht bis vor die Garderobe jenes Kneipenkellers von damals führen könnte. Noch drei Siege und die Reise geht los: DFB-Pokal. Elfmeterschießen in Erfurt und gegen München. Auswärtssieg in Braunschweig. Heimsiege gegen Bayern und Gladbach. Nichts einfacher als das!
He, Garderobenmann – es dauert nicht mehr lange! Kann es kaum erwarten Dich wiederzusehen! Bis dahin gilt aber bis auf weiteres: „Funkdisziplin einhalten!“
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