Do, 29. Mai 2014

„Eins kann uns keiner nehmen!“

Zehnter Jahrestag des DFB-Pokalfinals von 2004

Am 29. Mai 2014 jährt sich der Tag des DFB-Pokalendspiels zwischen Werder Bremen und Alemannia Aachen zum 10. Mal. Wir blicken noch einmal zurück auf eine Geschichte, die damals ein Fußballwunder war und heute fast wie ein Märchen klingt.

Die Story begann an einem Freitagabend, 29.08.2003, im Erfurter Steigerwaldstadion. Die Alemannia, die wenige Monate zuvor nur knapp eine Insolvenz abwenden konnte, geriet beim damals drittklassigen Süd-Regionalligisten bereits nach sieben Minuten in Rückstand. Neuzugang Daniel Gomez holte nach 77 Minuten einen Foulelfmeter heraus. Karlheinz Pflipsen verwandelte sicher und rettete die Tivoli-Kicker in die Verlängerung. Nachdem diese torlos verlief, kam es zum Elfmeterschießen. In dieser avancierte Stephan Straub mit zwei parierten Elfern zum Matchwinner. Mit 5:4 nach Elfmeterschießen zogen die Schwarz-Gelben in die zweite Runde ein.

Am Mittwoch, 29.10.2003, war Bundesligist TSV 1860 München der nächste Gegner auf dem Tivoli. Drei Tage zuvor war der Elf von Jörg Berger in der 2. Bundesliga überraschend der Sprung an die Tabellenspitze gelungen. Vor 19.582 Zuschauern mussten die Schwarz-Gelben auch diesmal einem frühen Rückstand hinterherlaufen. Erik Meijer gelang in der 73. Minute der Ausgleich und nach torloser Verlängerung ging es wieder ins Elfmeterschießen. Die ersten neun Schützen hatten allesamt verwandelt, als letzter Schütze stand der Münchener Remo Meyer unter Zugzwang. Stephan Straub ahnte die Ecke und lenkte das Leder um den Pfosten. Die Alemannia stand im Achtelfinale.

Dienstagabends, am 02.12.2003 ging es für die Kaiserstädter nach Niedersachsen, wo Gastgeber Eintracht Braunschweig von 18.500 Fans unterstützt wurde. Am Vortag hatte es eine Hiobsbotschaft am Tivoli gegeben. Daniel Gomez wurde aufgrund der Einnahme verbotener Mittel des Dopings beschuldigt, sodass der Alemannia im Ligaspielbetrieb ein Punktabzug drohte. Die Mannschaft zeigte sich von dieser Meldung völlig unbeeindruckt und gab die passende Antwort auf dem Platz. Das Spitzenteam der Regionalliga Nord hatte im eigenen Stadion nicht den Hauch einer Chance. Durch drei Treffer von Emmanuel Krontiris sowie Toren von Karlheinz Pflipsen und Erik Meijer behielten die Alemannen mit 5:0 die Oberhand und standen erstmals seit 1970 wieder im Viertelfinale des DFB-Pokals.

Vor der Runde der letzten Acht bewies die Losfee ein glückliches Händchen und bescherte der Alemannia keinen geringen als den deutschen Rekordmeister und -Pokalsieger FC Bayern München. Keine Frage, dass der altehrwürdige Tivoli mit offiziell 20.400 Zuschauern aus allen Nähten platzte. Mit einer Choreographie wurden die beiden Teams am Mittwochabend, 04.02.2004, auf dem Tivoli empfangen. „Braunschweig war der dritte Streich… Und der vierte folgt zu gleich“, war auf übergroßen Transparenten zu lesen. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass die Wünsche der Fans an diesem Abend zur Realität werden sollten. Beflügelt vom Anhang legten die Schwarz-Gelben los wie die Feuerwehr. In der 34. Minute war es dann soweit. Ivica Grlic passte die Kugel zu Stefan Blank, der aus 35 Metern halblinker Position einfach abzog. Der Ball flatterte, wurde lang und länger und schlug letztendlich vorbei am verdutzten Bayern-Keeper Oliver Kahn im rechten Eck ein. Der Titan brodelte – der Hexenkessel Tivoli explodierte. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte schlug das Starensemble von der Säbener Straße zurück. Nach einer Hereingabe von Bixente Lizarazu war Michael Ballack mit dem Kopf zur Stelle und glich für das Team von Ottmar Hitzfeld zum 1:1 aus. Die Karten wurden neu gemischt und im zweiten Durchgang entwickelte sich ein offener Schlagabtausch. Neun Minuten vor dem Ende war es der eingewechselte Frank Paulus, der nach Vorarbeit von Bachirou Salou am rechten Flügel flanken konnte. In der Mitte schraubte sich Erik Meijer höher als alle anderen und traf per Kopf ins linke untere Eck – 2:1! Der Tivoli mutierte zum Tollhaus. Bayern drängte auf den Ausgleich, doch das Aachener Abwehrbollwerk hielt. Die Sensation war perfekt und die Nacht wurde nach dem fünften Halbfinaleinzug der Vereinsgeschichte kurzerhand zum Tag gemacht.

Der Gegner im Halbfinale hieß am Mittwoch, 17.03.2004, Borussia Mönchengladbach. Keine Frage, dass der Tivoli zu diesem Duell erneut restlos ausverkauft war. Dem Sieger der Partie winkte neben dem Einzug ins Finale sogar die Teilnahme am UEFA-Cup. Werder Bremen hatte am Vortag knapp gegen den von Dieter Hecking trainierten VfB Lübeck die Oberhand behalten und war in der Bundesliga mit 17 Punkten Vorsprung auf Platz 4 so gut wie für die Champions League qualifiziert. Die Anspannung bei Mannschaft und Fans war enorm und so kontrollierten die Gäste vom Niederrhein das Spielgeschehen und auch die Stimmung auf den Rängen war anfangs sehr verhalten. Vaclav Sverkos traf nach 19 Minuten zum Glück nur den linken Innenpfosten. Mit zunehmender Spieldauer wurden die „Men in Black“ stabiler und kamen auch ihrerseits zu guten Offensivaktionen. Fünf Minuten vor dem Seitenwechsel wurde Karlheinz Pflipsen kurz vor der Strafraumgrenze von Jeff Strasser gefoult. Ivica Grlic legte sich den Ball 21 Meter vor dem Tor zum Freistoß zurecht, lief an und zirkelte den Ball um die Mauer ins rechte Eck! Mit einem 1:0 für Aachen ging es die Halbzeitpause.

Nach der Pause erhöhte Mönchengladbach den Druck, zwingende Offensivaktionen gab es jedoch zunächst nicht. Immer wieder der bange Blick Richtung Anzeigetafel. Können 45 Minuten so lang sein? Eine Viertelstunde vor dem Ende reklamierten die Fohlen dann erstmals einen Strafstoß. Nach einem Kopfball von Arie van Lent war der Ball an den Arm von Erik Meijer gesprungen – Schiedsrichter Edgar Steinborn hatte jedoch keinen Regelverstoß gesehen. Den hätte der Unparteiische dafür in der 89. Minute eigentlich sehen müssen. Thomas Broich brachte den Ball von rechts in den Strafraum, van Lent stieg zum Kopfball und George Mbwando schlug das Leder mit ausgestrecktem Arm vor dem Angreifer weg. Die Borussen forderten vehement einen Handelfmeter, die Pfeife des Referees blieb indes stumm. Die berühmte „Hand Gottes“, mit der Diego Maradona bereits Argentinien bei der WM 1986 zum Einzug ins Halbfinale verholfen hatte, sicherte der Alemannia den vielumjubelten Finaleinzug. Der Verein, der Monate zuvor noch ums finanzielle Überleben kämpfe, stand kurz vor der Sanierung. Fanartikel, Dauerkarten, Mitgliedschaften – alle wollten dabei sein, beim vielleicht größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Der Neue Deutsche Welle-Hit „Pure Lust am Leben“ der Gruppe Geier Sturzflug wurde von den Fans kurzerhand umgedichtet und schallte in den Folgewochen wie ein Ohrwurm durch die Stadien der 2. Bundesliga. „Eins kann uns keiner nehmen, und das ist das Endspiel gegen Bremen!“.


Der 29. Mai 2004 war ein historischer Tag für den Verein. Zum dritten Mal nach 1953 (1:2 gegen Essen) und 1965 (0:2 gegen Dortmund) stand die Alemannia im Finale des DFB-Pokals. Mit Bussen, Bahn, Fliegern und PKWs hatte sich eine schwarz-gelbe Karawane von 20.000 Alemannen auf den Weg in die Hauptstadt gemacht. Schon die Eindrücke in der Stadt waren überwältigend. Rund um die Gedächtniskirche und den Bahnhof Zoo feierten Aachener und Bremer Anhänger gemeinsam und stimmten sich auf das Duell im vollbesetzten Olympiastadion ein. Die Kurve der Alemannia-Fans, die sich auf beiden Seiten des Marathontores wiederfanden, war des Anlasses absolut würdig. Unter dem Motto "Eine geile Kurve für eine geile Mannschaft" hatten die Anhänger mit Tausenden Papptafeln eine ebenso aufwändige wie gelungene Choreographie aufgezogen. Um Punkt 20.00 Uhr eröffnete Schiedsrichter Herbert Fandel das Finale. Die Alemannia wirkte in den ersten Minuten nervös, und der Deutsche Meister wurde zunächst seiner Favoritenrolle gerecht. Gerade als die Alemannia sich etwas befreien und auch in der Offensive ein paar Nadelstiche setzen konnte, ging Bremen in Führung. Eine Kombination über Ivan Klasnic und Fabian Ernst vollendete Tim Borowski aus 11 Metern zum 1:0 (31.). Sekunden vor dem Pausenpfiff fiel die vermeintliche Vorentscheidung zu Gunsten von „Goliath“ Werder. Frank Baumann bediente Klasnic, der zum 2:0 in die lange Ecke traf (45.).

Aber „David“ Alemannia kam nach der Pause ins Spiel zurück. Eine Freistoßhereingabe von Ivica Grlic wuchtete Stefan Blank per Kopf zum Anschlusstreffer in die Maschen. Die Aachener Fans witterten Morgenluft und trieben die Elf weiter nach vorne. Die Tivoli-Kicker lieferten einen aufopferungsvollen Pokalfight, in dem eine Viertelstunde vor Schluss Schiri Fandel in den Mittelpunkt des Geschehens rückte. Im Anschluss an eine Aachener Ecke lief der Bremer Konter über Tim Borowski, der nahe der Seitenauslinie von George Mbwando unsanft gestoppt wurde. Gelb wäre die angemessene Strafe gewesen – der Unparteiische zückte zum Entsetzten der Kaiserstädter allerdings glatt Rot! Auch zu zehnt ließ die Alemannia nichts unversucht. Blank hämmerte die Kugel nach Kopfballablage von Salou knapp drüber. Bremen bekam in der Schlussphase Raum für Konter und nutze diesen sechs Minuten vor dem Ende. Klasnic legte die Kugel quer auf Borowski, der Straub aussteigen ließ und zum 3:1 abschloss. Es passte zur intakten Moral der Aachener Truppe, dass diese in der Nachspielzeit durch Erik Meijer noch einmal auf 3:2 herankam. Erhobenen Hauptes ging die Truppe von Jörg Berger vom Feld und erhielt nicht nur Ovationen von den mitgereisten Aachener Fans. Trotz Niederlage pilgerten auch am nächsten Tag noch über 10.000 Anhänger auf den Markplatz, um ihren Pokalhelden am Rathaus einen gebührenden Empfang zu bereiten.

An dieser Stelle schließt sich der Kreis fast auf den Tag genau zehn Jahre später. Während einige der Spieler von damals eine Fahrt zum Pokalfinale 2014 organisierten, wurde der aktuelle Regionalliga-Kader zum Saisonausklang in eine Lounge am Markt mit Blick auf das Rathaus eingeladen. Wehmut kam auf, als Zeugwarturgestein Michael Förster sowie einige Mitarbeiter in Erinnerungen schwelgten und den Spielern die Bilder von damals schilderten. Am Ende jedoch überwiegt der Stolz. Diese Momente kann uns keiner mehr nehmen!

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