Fr, 20. Oktober 2017

"Mehr als ein One-Night-Stand"

Die Kolumne von Sascha Theisen zum Spiel gegen Rot-Weiss Essen

Es gibt diesen einschlägigen Ruf aus der Fankurve der Alemannia. Er handelt davon, dass man mit dem Fußballverein Rot-Weiss Essen in eine innige erotische Beziehung treten sollte, die es zu genießen gilt, um sie im Anschluss möglichst schnell wieder ad acta zu legen. Schneller, schmutziger Sex halt. Man sollte Chants dieser Art als übliches Säbelrasseln vor großen Traditionsduellen verbuchen. Denn mal ehrlich: Es gibt kaum Vereine, die sich so ähnlich sind wie Alemannia Aachen und Rot-Weiss Essen: Gebeutelt von Misswirtschaft und sportlichen Talfahrten finden sich beide in einer Wirklichkeit wieder, die sie verabscheuen und der sie am liebsten heute als morgen entfliehen würden. Alleine scheint dieser Traum aussichtslos, weil die Regeln in der Wirklichkeit ganz eigene sind und andere mithilfe irgendwelcher russischer Investoren die Türe nach oben fest zu halten.

Trotzdem gehen die Anhänger beider Mannschaften immer wieder mit dem gleichen naiven Hoffnungsschimmer in eine neue Saison. Jeder Neuzugang ein Versprechen für den Wiederaufstieg. Jedes lang und breit erklärte neue Konzept ein erster und entscheidender Wegweiser in die bessere Zukunft. Und jedes Tor gefeiert als unwiderrufliche Attacke zur großen Aufholjagd in Richtung Flucht aus dieser so ungeliebten Regionalliga West.

Es war am 1. Mai 1953 als sich beide Vereine im Düsseldorfer Rheinstadion trafen, um den DFB-Pokal auszuspielen. Für Essen stürmte seinerzeit der Boss Helmut Rahn. Auf Aachener Seite kickten unvergessene Legenden wie Michel Pfeiffer oder der spätere „Jogi-Löw-Pionier“ Jupp Derwall. RWE gewann in einem mitreißenden Spiel knapp mit 2:1 – Rahn und Derwall trafen und die Fans beider Mannschaften glaubten fest daran schon bald die nächste Chance auf den Pokal zu bekommen. Die Essener Fans warteten vierzig Jahre darauf, die Aachener satte fünfzig. Beide Male gewannen nur die Fans auf den Rängen das jeweilige Spiel in Berlin.

In Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ sind „Alemannia“ und „Aachen“ die ersten gesprochenen Wörter, als der Hauptdarsteller einer Brieftaube das Endergebnis des Ligaspiels Essen gegen Aachen aus der Kralle zieht. Nicht Bayern München, nicht Borussia Dortmund, nicht mal Schalke 04 steht auf dem Zettel des Vogels, der durch eine Zeit flog als Paris St. Germain nicht mehr als ein gefährlicher Vorort war und mit „Red Bull“ noch rote Stiere auf der flachen Wiese gemeint waren.

Es ist noch nicht lange her, als zum Auftakt der Rückrunde des Spieljahrs 2014/15 zum Spiel der beiden alten Rivalen satte 26.000 Zuschauer in ein Stadion kamen, das ihrem Verein das Licht ausgeknipst hatte. Bei unnachahmlicher Atmosphäre trennten sich Fans und Vereine mit einem 1:0-Heimsieg für Alemannia. Das Tor erzielte ein gewisser Kevin Behrens für Aachen, der kurz danach für RWE die Stiefel schnürte.

Man könnte noch lange über dieses ewige Duell sprechen und über die Parallelen, die beide Vereine so eng miteinander verbinden. Momentan scheint Alemannia mit einem Team unterwegs, das mannschaftlich geschlossen ist wie lange nicht – angeleitet von einem Trainer, der zu Alemannia steht, wie lange keiner mehr. Bei RWE kündet dagegen wieder einmal ein neuerlicher Trainerwechsel von besseren Zeiten, die vor allem in den wilden Träumen der Fans stattfinden – Träume, die herausführen aus dieser furchtbaren Liga, die sich Regionalliga schimpft und aus der so schwer herauszufinden ist.

Und wenn dann eines Tages die Träume für einen der Beiden in Erfüllung gehen, werden sich die Wege wieder trennen. Und dann vergisst man den anderen ganz schnell wieder und niemand auf den Rängen spricht mehr von dem schnellen, schmutzigen Sex, den man mal miteinander hatte – 1953, 2015, im „Wunder von Bern“ oder zwei Mal pro Saison in dieser verhassten Regionalliga West. In diesem Sinne: Ab in die Kiste, RWE! Lass´ uns Spaß haben! So lange es noch geht.

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