Fr, 11. November 2016

"Seelenverwandte"

Die Kolumne von Sascha Theisen zum Heimspiel gegen Köln II

Es war warm an diesem Samstag im Mai vor zwölf Jahren, was aber nicht der Grund dafür war, dass wir mehr schwitzten als sonst. Alemannia spielte im letzten Heimspiel der Zweitliga-Saison um den Aufstieg in neue Sphären und die Chancen standen gut. Auf den anderen Plätzen spielte alles für uns. Ein gewisser Jürgen Klopp schien seine sich zart anbahnende Trainer-Karriere bei Jahn Regensburg zu verspielen, wo seine Mannschaft keinen Treffer zustande brachte und Alemannia so nicht mehr vom Aufstiegsplatz verdrängen konnte – vorausgesetzt die würde dieses eine Heimspiel gewinnen. Doch auch hier lief es wie so oft, wenn sich eine große Chance bot: ernüchternd. Es stand Unentschieden und erste Verzweiflung machte sich breit in diesem Stadion, das schon so viel gesehen hatte und noch so viel mehr hätte sehen dürfen, wenn es nach mir gegangen wäre. Eine letzte Flanke flog in den Ahlener Strafraum und ich sehe all diese Unbelehrbaren noch heute ihre Hälse dorthin recken, wo Bachirou Salou zum Kopfball hoch stieg. Würde er treffen – Aufstiegsfeier. Würde er verfehlen – kommende Woche, letztes Aufstiegsendspiel in Karlsruhe, von dem jeder dieser Hälse wusste: Das klappt im Leben nicht. Salou stand in der Luft, machte scheinbar alles richtig – erste Arme flogen in die Luft, erste „T-Laute“ zischten wie ein Windzug über die Köpfe hinweg. Doch gerade als alle ein bisschen zu viel Hoffnung in diesen Moment legten, rauschte der Ball um Millimeter am langen Eck vorbei. Salou griff sich an den Kopf, alle anderen an den ihren. Kein Tor, kein Aufstieg, keine Bundesliga. Stattdessen pure Enttäuschung auf den Rängen, auf dem Rasen, in Block N. Es war gekommen wie es eben immer gekommen war.

Ich weiß noch, wie ich völlig betäubt nach Hause fuhr und in Höhe von Düren im Stau stand – völlig frustriert, am Ende mit meiner Saison die mal wieder voller Träume und Hoffnungen gewesen war, die dieses Mal an Bachirous Stirn zerplatzt waren. Wen könnte ich jetzt anrufen? Wer würde verstehen, wie es mir ging? Wer würde verstehen, wie es in mir aussah kurz nachdem der Bundesliga-Traum ausgeträumt war. Ich wusste es und rief meinen besten Freund Peter Schmitz an – kein Alemanne wie ich und trotzdem erste Wahl, wenn es darum ging, ein bisschen Verständnis für eine Fußball-Niederlage zu bekommen – etwas, das zum Beispiel Ehefrauen im Leben nicht als wirkliche Niederlage anerkennen. Wie immer war ich richtig bei ihm. „Scheiße!“ sagte er als er abhob. Er meldete sich nicht mit Namen oder fragte erst großartig, wie es mir ging. Er wusste es längst. Er war kein Alemanne wie ich. Er hatte das Spiel verfolgt, weil er wusste, was es mir bedeutete. Ich stand in diesem Stau und heulte mich aus. Ich fluchte über Salou, den er auch nur zu gut kannte. Ich schrieb das bevorstehende Spiel in Karlsruhe ab ohne ihn ausreden zu lassen und obwohl es noch eine Woche war, bis es gespielt wurde. Ich kündigte an, mir diesen ganzen Alemannia-Scheiß nicht mehr anzutun. Er lachte nicht einmal, obwohl es Grund genug gegeben hätte, sich über meinen voreiligen Katzenjammer lustig zu machen. Er tat es nicht – im Gegenteil. Er fluchte selbst über Salou, schrieb den Karlsruhe-Kick ebenfalls ab und bestärkte mich darin, mir im nächsten Jahr ein ganz anderes Samstag-Nachmittag-Hobby zu suchen. Natürlich wusste er, dass ich Lieder auf Salou dichten würde, wenn der nächste Woche in Karlsruhe traf. Er wusste auch, dass ich insgeheim auf genau das hoffte. Und er wusste, dass ich noch vor dem Sommerurlaub die Jahreskarte für die neue Saison ordern würde. Niemand kannte mich und meine Leidenschaft für Alemannia besser als er. Er, dessen Herz für einen ganz anderen Verein tickte, war nicht anders als ich. Gemeinsam hatten wir Sommerurlaube an andalusischen Küsten damit verbracht, Polonaise-Raupen auf allen vieren für Christian Ziege zu starten. Unerbittlich hatten wir die Trivial Pursuit WM-Edition gegeneinander gespielt, wobei er Zeit seines Lebens damit aufgezogen wurde, dass er nicht wusste, wie Bobby Moore seinen Hund genannt hatte. Jahrelang hatten wir gemeinsam gespielt und gewettet, wer der langsamere von uns beiden war, ohne es jemals in einem Rennen herauszufinden. Und gemeinsam hatten wir halt – wie jetzt in diesem Moment – immer ein Ohr füreinander, wenn unsere Vereine unaufhaltsam und zielsicher in ihre und unsere Katastrophen steuerten. Denn wenn alle sagten, dass wir uns nun mal wirklich nicht so anstellen sollten, schließlich sei es ja nur Fußball, wussten wir: Da ist immer noch einer, der weiß, wie ich mich fühle, wenn einer wie Bachirou Salou neben das Tor köpft. Seelenverwandt.

Letzte Woche ist mein bester Freund Peter Schmitz gestorben – völlig unerwartet und grausam für sich und die, die ihn liebten. Er hinterlässt Fassungslosigkeit und so viele Lücken, die niemand jemals wird füllen können. Das Leben ist nicht mehr wie vorher. Sein Tod relativiert all das, was man vorher für wichtig hielt. Peter ging und ließ so viele Menschen alleine mit ihrem Leben und dem, was sie je für wichtig hielten.

Es war warm an diesem Samstag, an dem Bachirou Salou diesen einen Kopfball neben das Tor köpfte. Ich saß in meinem Wagen im Stau und musste keine Sekunde überlegen, wen ich anrufen wollte in diesem Moment. „Scheiße!“ sagte er nur als er abhob und wusste, wie ich mich fühlte.

Verwendung von Cookies

Diese Seite nutzt Cookies für Google-Analytics. Sie können Cookies akzeptieren oder ablehnen und Ihre Entscheidung jederzeit ändern.

Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Ablehnen Akzeptieren

Einstellungen

Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Ablehnen Akzeptieren
Cookie Einstellungen Historie

Historie

alles löschen Schließen