Die Kolumne von Sascha Theisen zum Spiel gegen Köln II
Glasgow ist keine schöne Stadt. Um ihr zu schmeicheln, könnte man sagen: Sie lebt von ihren Menschen. Wollte man das tun, also ihr zu schmeicheln, müsste man allerdings die Gestalten der Nacht ausschließen. Denn die Schotten des Nachtlebens sind alles andere als schmeichelhaft – Frauen, mit Hochdruckluftpistole in ihre Kleider geschossen, laufen auf Schuhen, die selbst lettischen Pornostars zu hoch wären, durch voll gekotzte Straßen auf denen robuste Männer auf den Zeitpunkt warten, sie endlich mit nach Hause zu nehmen. Keine Frage, sollte Gottes Finger eines Tages vor Zorn die Erde berühren, das Nachtleben in britischen Metropolen wird chancenlos sein.
Ein gänzlich anderes Bild bietet Glasgow allerdings, wenn Spieltag ist. Ich durfte das Ende September erleben, als ich den Celtic Park besuchte. Offenbar schliefen die Nachtgespenster noch. Denn plötzlich waren die bemerkenswert schnell gesäuberten Straßen Glasgows mit Vätern und Söhnen bevölkert, die in grün und weiß gekleidet zum Spiel ihres Teams gingen oder fuhren. Der lange Weg von der U-Bahn-Station zum Stadion mutete an wie eine heilige Prozession in den Farben der Celtics, zumal sich die Rangers offenbar in jenen Kneipen verschanzten, die sie demonstrativ mit dem „Union Jack“ markieren. Dies war der Samstag stolzer Menschen, die die „Lisbon Lions“ im Herzen tragen, jener einzigen schottischen Mannschaft, die genau vor 50 Jahren den Europapokal der Landesmeister gewann.
Der britische Fußball hat sich verändert. Kein Alkohol vor dem Stadion, keine Gesänge an den Eingangstoren und Menschen mit vollständigen Zahnreihen. Was man einerseits als Verlust der britischen Fankultur kritisieren könnte, ist für neutrale Fußballreisende im Vorruhestand wie unsereins eine durchaus schätzenswert entspannte Angelegenheit. Trotzdem sind einige Standards geblieben: enge Eingangsbereiche zum Beispiel, die erklären warum Frank Pagelsdorf, Dieter Schatzschneider oder Reiner Calmund nie nach Großbritannien wechselten, steile Ränge in den Stadien und ein inbrünstiges „You´ll never walk alone“ vor dem Spiel. Keine Frage – die Atmosphäre im Celtic Park hatte mich sofort. Sie versöhnte mich mit Glasgow nach all den Nachtschlampen des Vortages und all der Tristesse einer Industriestadt, in der es vorher nicht viel mehr zu entdecken gab als ein beeindruckendes Wandgemälde gleich über „Barneys Beergarden“. Celtic Glasgow gab mir viel von dem, was ich mir eigentlich von der ganzen Stadt erhofft hatte.
Mehr noch als die Celtics allerdings beeindruckte mich eine Horde Hibs. „The Hibs“ – so nennen sich die Hibernians aus Edinburgh, an diesem Tag der Gegner der Celtics, die nun schon seit fast 50 Spielen ungeschlagen durch die schottische Premier League marschieren.
Die Hibs hatten ungefähr 800-900 Fans mit nach Glasgow gebracht. Sie waren optisch kaum von den Celtic-Anhängern zu unterscheiden, weil auch ihre Farben Grün und Weiß sind. Allerdings machte diese kleine Hibs-Bande beinahe so viel Radau wie der Rest der gut 60.000, die an diesem Tag in den Celtic Park gekommen waren. Ich bewunderte sie für ihren mutigen Optimismus. Denn es war – realistisch betrachtet – nicht wirklich davon auszugehen, dass ihr Team irgendetwas aus Glasgow mit nach Hause nehmen würde. Vor diesem Spieltag war ihr Team Sechster in einer Liga mit zwölf Mannschaften. Und trotzdem hofften sie. Und trotzdem träumten sie. Und trotzdem sangen sie. Selbst als die Celtics nach gut 20 Minuten in Führung gingen, verloren sie nicht die Hoffnung. Und als ihre Elf in der zweiten Hälfte tatsächlich begann am Spiel teilzunehmen, gab es schier kein Halten mehr. Die Hibs drehten die Partie im Celtic Park und gingen eine Viertelstunde vor Schluss tatsächlich mit 2:1 in Führung. Ich schaute in den Block, der nur ein paar Meter von meinem Sitzplatz entfernt war und merkte, wie ich innerlich umschwenkte und froh war mir vor dem Spiel einen neutralen grün-weißen Schal ohne Vereinswappen gekauft zu haben. Ich war plötzlich einer von ihnen, ein Hib. Ich erzählte es niemandem – denn vielleicht war es als Glasgow-Tourist nicht angebracht plötzlich für ein Team aus Edinburgh zu halten. Aber ich fühlte es nun mal so.
Nur – darf man das? Wegen des Ruhms der Celtics nach Glasgow fahren und dann die Hibernians geil finden? Ich finde: Man darf! Zumal Gottes Finger wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Bis dahin: Prost, Glasgow! Und: Come on, you Hibs!
Denn diese 800 bis 900 Verrückten dort, erinnerten mich irgendwie an mich selbst. Sie trugen das gleiche unbelehrbare Dogma der Hoffnung in sich. Sie glaubten an das Chancenlose und taten dies mit aller Wucht, mit aller Kraft. Die Hibs spielten unentschieden im Celtic Park – so wie einen Tag später, als ich im Flugzeug nach Hause saß, Alemannia in Krefeld. Dabei waren, darf man dem Spielbericht Glauben schenken, 800-900 Alemannen, die nach zwei Siegen in der Liga wieder an so viel glauben wollten und es noch immer dürfen. Schon in Glasgow dachte ich daran, dass so viel Alemannia auch in den Hibs steckte. Als ich zu Hause war und von Krefeld las, wusste ich es noch besser. Das Spiel ist erst verloren, wenn Du es verloren gibst. Manchmal vergesse ich das zu schnell. Die Hibs erinnerten mich wieder daran. Gut so und man kann es nicht oft genug sagen: God save the Hibs. Und Alemannia natürlich. Irgendwie das Gleiche.
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