Die Kolumne von Sascha Theisen
Zuhause in unserer Gästetoilette hängt ein Foto von Erik Meijer. Es ist nicht besonders groß, vielleicht zehn Zentimeter breit und etwas nonchalant hinter einem billigen Glasrahmen vor den handelsüblichen Gäste-WC-Gefahren geschützt. Auf diesem Bild trägt er noch ein Trikot des Hamburger SV und es passt vor allem deshalb so gut an diesen Ort, weil er gerade mit aufgeblasenen Backen eine volle Mund-Ladung Wasser auf den Fotografen spuckt.
Ich mochte Meijer schon als er noch für Leverkusen oder eben den HSV spielte – als er an der Anfield Road ackerte sowieso. Irgendwie verkörperte er auch da schon genau das, was ich an Fußball so liebe: totale Hingabe für das Spiel, höchster Respekt für die Ränge und genau die Prise Humor, die es braucht, um den Fußball so ernst zu nehmen, dass man über ihn lachen kann.
Selten war ich während einer Transferphase so nervös wie damals im Frühsommer 2003 als der junge und vielleicht etwas weniger zornige Jörg Schmadtke seinerzeit versuchte, genau diesen Erik Meijer ausgerechnet nach Aachen zu holen. Der war eigentlich eine Nummer zu groß für einen Verein wie Alemannia, der schon damals mehr klamm als stramm war und in der zweiten Liga nicht unbedingt zu den ganz heißen Aufstiegsaspiranten zählte. Und doch entschied sich dieser verrückte Holländer damals für uns. Und veränderte alles. Erik Meijer war zweifellos der beste Transfer-Coup, den Alemannia je landete.
Denn fortan gehörte das Stadion an der Krefelder Straße ihm alleine. Er befeuerte den S-Block schon beim Warmlaufen, weckte den Tivoli mit einer einzigen Grätsche ins Leere auf und hob den Kopf immer dann, wenn andere ihn senkten. Er köpfte Bayern München aus dem DFB-Pokal, erschoss französische Erstligisten im UEFA-Cup und traf sogar im Pokalfinale in Berlin. Vielleicht wird Alemannia nie wieder einen Mittelstürmer wie ihn in seinen Reihen haben. Wahrscheinlich wird Alemannia nie wieder einen Mittelstürmer wie ihn in seinen Reihen haben. Ganz sicher wird Alemannia nie wieder einen Mittelstürmer wie ihn in seinen Reihen haben.
Ich musste in diesen Tagen an die heiße Transferphase im Mai 2003 denken, als Erik kam. Denn gerade ist es mal wieder so weit, dass Spieler rund um Alemannia ihren Abschied verkünden, andere ihren Vertrag verlängern und wieder andere verpflichtet werden. Erst kürzlich grüßten zwei Jungs namens Sebastian Schmitt und Marco Müller von der Alemannia-Webseite. Sie wechseln aus Worms und Koblenz an die Krefelder Straße. Ich müsste lügen, würde ich sagen, dass ich sie kenne. Trotzdem freute es mich irgendwie, dass sie sich für uns entschieden – genauso wie es mich freute, dass Matti Fiedler oder Ilias Azaouaghi ihre Verträge verlängerten. Auch ihre Namen hatte ich vor einem Jahr noch nicht gehört, nun kommen sie mir seltsam vertraut vor und wer weiß, wohin unser gemeinsamer Weg noch führt. Natürlich finde ich es irgendwie auch schade, dass wahrscheinlich mehr Spieler, die eine am Ende doch sehr beeindruckende Saison gespielt haben, gehen als bleiben werden. Auch in anderen Ligen und damit in anderen Sphären ist es in der Endphase der Saison ja so, dass Wappen auf Trikots geküsst und mit flachen Händen auf Herzen geschlagen wird, wenn die wichtigen Tore zu Aufstiegen oder Pokalsiegen fallen. Am Ende wechseln auch diese austauschbaren Kurzzeit-Romantiker den Verein. Aber mal ehrlich: So läuft das Spiel nun mal und ihre Namen werden auf den Tribünen, die sie bejubelten, wahrscheinlich schneller vergessen, als ich „Azaouaghi“ sagen kann. Die Tribünen und die Fans auf ihren Stufen gehen nicht. Sie bekommen keine Angebote anderer Vereine. Sie bleiben – immer. Genau deshalb haben sie das Recht zu vergessen.
In jedem Fall freue ich mich auf die gerade anlaufende Transferphase. Denn sie regt meine Phantasie an. Denn Mittelstürmer aus der Regionalliga Nord oder Abwehrchefs von Abstiegskandidaten der zweiten österreichischen Liga sind am Ende vielleicht nur deswegen zu haben, weil sie dafür geboren sind, uns wach zu küssen. Und nicht zuletzt bin ich gespannt wie ein Flitzebogen, was mich demnächst noch so erwartet, wenn ich nichts Böses ahnend auf der Alemannia-Seite surfe. Helden, Torschützenkönige, Pokalfinalisten vielleicht – da gilt das alte Swinger Club-Motto: Nichts muss, alles geht!
Und, hey: Ganz vielleicht schafft es einer der Jungs, die demnächst gemeinsam mit Fuat Kilic das Alemannia-Trikot in die Kamera-Linse halten, auch hinter einen billigen Glasrahmen und nimmt von da aus direkt Kurs auf meine Gäste-Toilette. Denn da und nur da hängt die Ewigkeit.
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