Mi, 3. März 2010

Auf dem Weg zu Klitschko

Profis schuften für ihr Comeback

Der Raum ist kleiner als gedacht. Ein schmales Pult gleich neben dem Eingang, ein Wasserspender, eine Hand voll Fahrradergometer und jede Menge Fitnessgeräte. Der Ausblick durch die bodentiefen Fenster ist hübsch, aber für das Panorama der Kölner Innenstadt hat hier kaum jemand Augen. „Physio Sport“ stand auf dem Schild im Aufzug,  in den uns die Empfangsdame geschickt hat. „Alemannia Aachen? Eure Jungs sind in der 3. Etage links“, sagt sie freundlich. Sogar an der Rezeption ist schon bekannt, dass knapp 70 Kilometer vom Tivoli entfernt so etwas wie ein zweites Trainingszentrum entstanden ist – unfreiwillig natürlich.

Media Park Klinik Köln, Freitagmittag. Hier quälen sich die Alemannia-Spieler nach Verletzungen zurück. Wochen, meist sogar Monate lang. An der Wand hängen unzählige Trikots von Leidensgenossen, denen es ebenso erging. Die meisten haben eine Widmung hinterlassen, Sprüche wie „Danke für die tolle Behandlung“ oder „Für das beste Reha-Team der Welt“. So steht es auf den Shirts von Lukas Sinkiewicz, Mike Hanke oder Robert Enke. Auch Dirk Nowitzki hat ein Trikot dagelassen, und Gelb stechen die von Mirko Casper und Reiner Plaßhenrich hervor. Der Ex-Kapitän hat mit Sicherheit die längste Zeit aller Aachener Spieler in der Kölner Reha verbracht. Auch Thomas Stehle und Andreas Lasnik wurden hier wieder aufgebaut, Markus Daun hat den längsten Teil des Weges noch vor sich. Aktuell besteht die schwarz-gelbe Fraktion aus Timo Achenbach, Jérôme Polenz, Manuel Junglas und Florian Müller. Kevin Kratz wird aufgrund des Riss seines Syndesmosebandes in Kürze wohl zur Gruppe hinzustoßen.

Achenbach (Außenbandriss) und Polenz (Routine-Eingriff) werden sich bald von ihren Physiotherapeuten verabschieden und sukzessive wieder ins Training mit der Mannschaft einsteigen. Florian Müller ist 16 Wochen nach seiner Kreuzband-OP noch nicht ganz so weit, und Manuel Junglas steckt noch im ersten Drittel der Reha nach seinem Kreuzbandriss. „Ich stehe morgens auf, frühstücke und trainiere dann hier mindestens vier Stunden am Tag. Den Rest des Tages liege ich auf der Couch, weil ich so kaputt bin“, sagt Junglas. 90 Minuten Bundesligaspiel oder ein Tag in der Reha – was ist anstrengender? Für den Mittelfeldspieler keine Frage: „Definitiv die Reha.“ Bereits wenige Tage nach der Operation begann für den 21-Jährigen die Behandlung am lädierten Knie. Ab der dritten Woche nach einem Kreuzbandriss geht es für die Patienten bereits aufs Ergometer. „In diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren sehr viel geändert“, erklärt Carsten Rademacher, der mit seinem Team aus sechs Trainern ständig präsent ist, Übungen vormacht und deren Ausführung akribisch überwacht. „Die Belastung ist sehr hoch, natürlich immer angepasst an die Verletzungen der einzelnen Spieler. Das ist kein Kurprogramm hier“, sagt der Diplom-Sportlehrer.

Wie Kur sieht es auch nicht aus, denn der Schweiß fließt in Strömen. Dennoch ist die Stimmung unter den Trainierenden sehr gut. Es ist eine bunte Mischung aus Fußballern, einem Handballer, einem Eishockey-Profi und einigen ganz „normalen“ Besuchern. „Wir versuchen gezielt eine gute Atmosphäre zu schaffen, denn wer positiv gestimmt ist, kann auch Leistung abrufen“, erklärt Rademacher. Auch wenn das Reha-Zentrum naturgemäß für keinen Fußballer der Lieblingsort ist, steht positives Denken im Vordergrund. „Trübsal blasen hilft nicht weiter, auch wenn ich in den ersten Tagen schon ein wenig geknickt war“, berichtet Flo Müller. Der schnelle Mann vom rechten Flügel hat vergangene Woche den ersten „Freigang“ hinter sich gebracht und war mit einem der Trainer in der Soccerhalle. Keine Gewichte, keine Sprünge, nein – der Ball kam ins Spiel. „Es war unglaublich schön, nach vier Monaten mal wieder gegen die Murmel zu treten“, beschreibt der 23-Jährige seine „Glücksgefühle“ durch den Kontakt mit dem Spielgerät. Der Großteil des Alltags findet aber weiterhin auf der Trainingsfläche im 3. Stock der Media Park Klinik statt. Sprünge auf der Weichmatte, Krafttraining, Stabilisation des Kniegelenks, Massagen – langweilig wird es den Schwarz-Gelben bei ihren Schichten nicht. Die Rahmentrainingspläne für die verschiedenen Verletzungen werden von den Trainern modifiziert, jeder Spieler erhält seinen individuellen Plan. Dabei steht das verletzte Gelenk zwar im Vordergrund, aber „wir versuchen auch den Rest des Körpers fit zu halten“, sagt Rademacher. Die Folgen des „Body-Buildings“ sind für Manu Junglas schon absehbar: „Wenn ich hier raus komme, sehe ich aus wie Klitschko.“

Apropos raus kommen: Genau dieses Ziel hat Jérôme Polenz vor Augen. Nach seiner viermonatigen Pause im Sommer arbeitet er nun erneut am Comeback. Auch wenn der Eingriff am Knie nur minimal war, hat der Allrounder die Saison bereits als sein persönliches Seuchenjahr verbucht. „Schlimmer geht’s ja auch nicht mehr“, sagt der 23-Jährige. „Zum Glück war es jetzt kein großer Eingriff, das haut mich nicht um. Ich bin bald wieder da.“ Im letzten Sommer stand der ehemalige Bremer auf dem Sprung in die Stammelf, als ihn ein Kreuzband-Teilabriss stoppte und ihm die Hinrunde kostete. Im Winter dann dasselbe Spiel, nach guter Vorbereitung folgt die nächste Zwangspause. „Ich bin eher der ungeduldige Typ. In dieser Hinsicht habe ich durch meine Verletzung viel gelernt“, sagt Polenz. Mentale Stärke, der Wille sich zurückzukämpfen, diese Dinge nimmt er aus der Reha mit. Der Wille zur Rückkehr auf den Platz ist Polenz deutlich anzumerken. „Hier sind alle nett und freundlich. Trotzdem bin ich froh, wenn ich den Laden nicht mehr sehen muss.“

Das sollte in Kürze der Fall sein, wenn nichts dazwischen kommt. Gleiches gilt für Timo Achenbach, der das Auswärtsspiel in Berlin als realistisches Ziel für ein Comeback bezeichnet. Achenbach verletzt? Geht das überhaupt? Die Frage werden sich einige gestellt haben, als „Acki“ nach dem ersten Rückrunden-Spieltag ausfiel. Der Linksverteidiger hatte schließlich seit seinem Wechsel an den Tivoli im Sommer 2008 keine einzige Pflichtspielminute verpasst. Mehr zuverlässig geht gar nicht. Dazu kommt: der Mann läuft für sein Leben gern. Rauf und runter, 90 Minuten lang. „Sie lassen mich nur 20 Minuten aufs Laufband, länger darf ich noch nicht. Aber ich könnte schon“, sagt Achenbach. Ihm fehlt nicht nur das Laufen, auch die Späßchen in der Kabine, das Training auf dem Platz. „Einfach alles. Der ganze Lebens-Rhythmus ändert sich. Das ist das Schlimmste“, sagt er. Vom Laufband wechselt „Acki“ auf die Beinpresse, von da aus geht es in den hinteren Teil des Trainingsraumes. Vorwärts, seitwärts, rückwärts – das Knie bekommt unzählige Sprünge verpasst, um durch den Außenbandriss verloren gegangene Stabilität wieder zu erlangen. Trockenübungen, der Körper wird wieder auf die Mega-Belastung Bundesliga vorbereitet. „Das Spiel ist immer schneller geworden, dazu viel physischer“, weiß Rademacher, der die Fußballer in der Reha kommen und gehen sieht. Alle mit demselben Ziel: Möglichst bald wieder auf dem Platz zu stehen. „Auf der einen Seite haben wir den Ehrgeiz, die Spieler möglichst schnell wieder in die Vereine zurück zu schicken. Aber man muss auch die Vernunft walten lassen und realistisch einschätzen, ob es Sinn macht“, erklärt der Diplom-Sportlehrer, dem eine vergleichbare „Seuche“ wie bei der Alemannia nicht bekannt ist. „Man hat schon mal drei, vier Spieler von einem Verein. Aber so viele mit so schweren Verletzungen – das habe ich noch nicht erlebt.“ Alemannia-Physiotherapeut Oliver Dipper hofft, dass sich die Zahl der Langzeitverletzten bis zum Beginn der neuen Spielzeit auf einen, nämlich Markus Daun, reduziert. Dipper und sein Kollege Rudy Schifflers machen die Spieler dann vor Ort in Aachen wieder so fit, dass sie endgültig ins Teamtraining zurückkehren können. „Gerade bei Bandverletzungen im Kniegelenk sind die Voraussetzungen in Sachen Trainingsgeräte und Manpower in Köln hervorragend. Die Versorgung unserer Spieler ist erstklassig“, sagt Dipper, der gemeinsam mit Orthopäde Christian Schmidt im ständigen Austausch mit der Klinik steht.

Thomas Stehle und Andreas Lasnik verbringen bereits die meiste Zeit wieder in Aachen, bei Achenbach und Polenz ist die Rückkehr absehbar. Und die Kreuzband-Patienten Müller und Junglas scharren schon mit den Hufen. „Ich hoffe, dass ich in dieser Saison noch ein paar Minuten auf dem Platz stehen kann“, sagt Müller. Kollege Junglas hat die erste Pokalrunde Mitte August als Comeback-Termin ins Visier genommen. „Und das schaffe ich auch“, unterstreicht er energisch.

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