Kolumne von Sascha Theisen
Das erste Fußballspiel, an das ich mich erinnern kann, fand auf der Mariaweiler Landstraße in Düren statt. Dort spielten einst Männer in sehr hübschen schwarz-rot gestreiften Trikots gegen Mannschaften aus der Region um den Aufstieg in die Oberliga. Die „Westkampfbahn“ Dürens war die Heimat von Düren 99. Der Star der Mannschaft in den Siebzigern war langsam, aber technisch beschlagen und mein Vater nahm mich damals bei Seite, um mir zuzuraunen, dass sie ihn in Düren den „Traber des Jahres“ nannten. Das beeindruckte mich sehr seinerzeit, weil ich den Titel aus der Sportschau kannte, wo Adi Furler ihn alle zwölf Monate an das beste Rennpferd des Jahres vergab. Später hing die Dürener Ausgabe mit meinem Vater Jalousien auf und verlor viel von seinem Zauber.
Jeden zweiten Sonntag gaben wir meiner Mutter nach dem Mittagessen frei und wurden wie mit der Schnur diese Mariaweiler Landstraße entlang gezogen. An deren Ende und meist schon weit vor Anpfiff ließen wir an einem weiß gestrichenen Kassenhäuschen unsere drei Mark Eintritt, die ein Spiel der Dürener damals kostete und freuten uns auf einen Sonntagnachmittag, an dem der Ball rollte. Zwar wurden wir nie wirklich Fans der Mannschaft, zelebrierten die Spieltage aber trotzdem als eines der Vater-Sohn-Rituale, für die es keinen Ersatz gibt.
Wir schauten ein Spiel zwischen Männern für Jedenfalls kann ich mich an keine einzige Frau erinnern, die den „Traber des Jahres“ auf dem Zettel hatte. Sie alle schauten Fußball auf einem Feld an dessen Gegengerade eine einzige uralte Holztribüne ziemlich eindrucksvoll vor sich hin thronte. Wer – wie wir – von den Zuschauern keine fünf Mark in die Hand nahm, um auf dieser Tribüne zu sitzen, konnte sich rund um die Westkampfbahn hinter einen wackeligen Wellenbrecher stellen und 90 Minuten seinen Platz in der ersten Reihe verteidigen. Halbe Portionen wie ich hatten dabei allerdings keine Chance gegen all die Zigarre rauchenden Opas, die einen Sechsjährigen ohne zu zögern mit ihren alten, kriegserprobten Ellenbögen zur Seite kickten, um sich ungestört über das Spiel echauffieren zu können. Wie anders als Westkampfbahn konnte ein solcher wunderbarer Ort heißen.
In diesen Tagen musste ich wieder an die Westkampfbahn denken – ausgerechnet als Alemannia mitten in den hochprozentigen Karnevalswirren, die mich fest im Griff hatten, in einem Ort namens Freialdenhoven das Viertelfinale um den Bitburger-Pokal, den ich lieber Mittelrhein-Pokal nennen möchte, gewann. Denn als ich gerade einmal für zehn Minuten nüchtern war, checkte ich kurz das übrig gebliebene Teilnehmerfeld für das Halbfinale und damit für die Rückkehr in den DFB-Pokal, den ich nun schon so lange vermisse. Der FC Düren, ein ehrgeiziges Projekt von ebenso ehrgeizigen Lokalfürsten der Stadt in der ich meine Jugend verbrachte, hatte sein Viertelfinale gegen irgendeine Eintracht aus irgendeinem Verlautenheide ebenfalls gewonnen. Das heißt: Es fehlt nur ein bisschen Losglück und bei meinem alten Herrn klingelt bald das Telefon. Dann nämlich geht es wieder raus auf den Weg zur Mariaweiler Landstraße. Die alte knarzige Holztribüne wurde vor ein paar Jahren gar renoviert, wie mir Wikipedia beim Schreiben dieser Kolumne brühwarm erzählte. Keine Frage: Dieses Mal wäre uns sicher der Gang zu den Sitzplätzen ein paar Euro mehr wert – wer will schon ein kleines Kind aus den ersten Reihen der Stehplätze wegdrängen? Zwar heißt die Mannschaft dort schon länger nicht mehr Düren 99 und der „Traber des Jahres“ hängt auch schon lange keine Jalousien mehr auf. Aber das kümmert mich nicht – mit der Heimmannschaft hatte ich ja eh nicht ganz so viel am Hut – vielmehr mit der Straße, dem Kassenhäuschen und dem Weg dorthin. Momentan ist er nur eine Auslosung entfernt, denn ein Halbfinale steht an. Bring it on!
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