Di, 11. Dezember 2007

Ein arbeitsreiches Jahr



Herr Kraemer, im kommenden Monat sind Sie ein Jahr Geschäftsführer der Alemannia. Wie fällt die grobe Bilanz nach knapp elf Monaten aus?

Die grobe Bilanz sieht so aus, dass es ein sehr arbeitsreiches Jahr war. Ich habe speziell mit dem Stadionprojekt eine sehr zeitintensive Aufgabe vorgefunden, die vieles überragt hat, die aber für die weitere Entwicklung des Vereins der einzig richtige strategische Schritt ist. Rückblickend war die Entscheidung, nach Aachen zu kommen, für mich persönlich und aus beruflicher Sicht ein Glücksgriff.

Sie haben eben das Stadion als zentrale Aufgabe angesprochen. Mittlerweile sieht es sehr gut aus. Wie war der Stand bei Ihrer Amtsübernahme?

Bei meiner Amtsübernahme waren die Weichen zwar gestellt, der Zug war aber noch nicht losgefahren. Wir haben das Wettbewerbsverfahren gestartet, um den besten Bieter herauszufiltern. Das war aufgrund einer funktionalen Ausschreibung anhand diverser Kriterien sehr gut möglich, da haben wir uns sicherlich für das richtige Konzept entschieden. Bis September haben wir die Wettbewerbsphase mit der Auswahl der Firma Hellmich und der Zusage der Landesbürgschaft abgeschlossen und sind jetzt in die Umsetzungsphase eingetreten. Wir halten an unserem Zeitplan fest, den Baubeginn im Mai 2008 zu realisieren.

Wo lagen die großen Klippen? War die Erteilung der Landesbürgschaft der wichtigste Schritt?

Man kann sagen, dass der Gang in das Procedere zur Erteilung einer Landesbürgschaft für uns sehr zielführend war. Die einhergehenden finanziellen Rahmenbedingungen, die zu beachten waren, aber auch die zeitlichen Restriktionen waren für uns sehr dienlich, um uns zu orientieren. Entsprechend schnell mussten wir zum Ziel kommen. Man könnte jetzt philosophieren, ob wir auch anders zum Ziel gekommen wären. Aber der Druck durch das Bürgschaftsverfahren war in jedem Fall hilfreich.

Welche Aufgaben müssen von Seiten der Alemannia noch gelöst werden, damit im Mai wirklich der Spatenstich erfolgen kann?

Sicherlich gibt es nach wie vor Dinge, die im Rahmen eines Bauverfahrens wie unserem eine Rolle spielen können. Ich kann aber feststellen, dass alle Beteiligten, die mit dem Bauherrn Alemannia Aachen zu tun haben, sich sehr kooperativ zeigen. Sei es die Stadtverwaltung oder die Sicherheitsbehörden – alle bemühen sich, mit uns den Zeitplan einzuhalten. Das eine oder andere Mal ist das vielleicht sehr ambitioniert von uns, aber wir tun alle gut daran, wenn wir uns an den gesetzten Vorgaben orientieren.

Sie haben gerade vom „Bauherrn Alemannia“ gesprochen. Das heißt noch lange nicht, dass man alleiniger Herr des Verfahrens ist. In letzter Zeit haben sich unglaublich viele Menschen zu Wort gemeldet, teilweise absurde Vorschläge wurden gemacht. Wie schwer fällt es, diesen Wortmeldungen mit der nötigen Ruhe zu begegnen und nicht auf alles zu reagieren?

Ich habe absolut Verständnis dafür, dass es beim Stadionneubau darum geht, möglichst viele Interessen zu berücksichtigen und die Besonderheiten dieses Projektes in Aachen umzusetzen. Wir sind angetreten, um diese Dinge zu erkennen und sowohl beim Bau als auch beim späteren Betrieb zu berücksichtigen. Aber es gibt sicher irgendwo Grenzen. Manche Idee ist zwar gut, aber in der Umsetzung einfach nicht realisierbar. Wir gehen keinem Dialog aus dem Weg, sei es mit den Fans, den Behörden oder den Medien. Letzten Endes ist es das Entscheidende, dass dieses Stadion von allen akzeptiert wird und sich jeder wohl fühlt. Es wäre fahrlässig, Interessen nicht aufzunehmen. Aber: Wir sind der Bauherr und entscheiden, was umsetzbar ist und was nicht.

Die Kommunalpolitik spielt logischerweise beim Stadionbau eine gewichtige Rolle. Bei der Aachener CDU hatte man zuletzt das Gefühl, der Spaß am Alemannia-Projekt sei etwas erloschen. Deuten Sie Sätze wie „Entweder ihr ändert was, oder wir haben ein Problem“ nicht fast als Erpressungsversuch?

Nein. Diese Aussagen, die wir der Presse entnehmen konnten, beziehen sich ja auf Themen, mit denen wir mit den Beteiligten ohnehin im Dialog stehen. Wir sind sicherlich bei einigen Punkten anderer Auffassung. Dennoch glaube ich, dass wir einen gemeinsamen Nenner finden. Wie gesagt: Wenn Hinweise gegeben werden, nehmen wir die gerne auf. Ich gebe aber zu bedenken, dass wir als Alemannia dieses Stadion auch finanzieren müssen und dass jegliche Wünsche auch zu Kosten führen können.

Die Fans haben sehr konstruktiv am Stadionentwurf mitgewirkt, der Verein hat Lob für die Berücksichtigung ihrer Interessen erfahren. Wie wird die weitere Einbindung aussehen?

Wir haben konkrete Vorstellungen, welche Elemente aus dem Tivoli wir im neuen Stadion integrieren wollen. Ich denke, es gibt viele historische und emotional aufgeladene Relikte, die nicht der Abrissbirne zum Opfer fallen sollten. Bei der Ausgestaltung bestimmter Bereiche können wir bestimmt auf Wünsche und Anregungen der Fans eingehen. Dort müssen wir noch die Ebene finden, auf der wir das austauschen. Wir werden unser Stadionprojekt am Mittwoch den Fanklubs vorstellen, damit alle wissen, worüber wir sprechen.

Sie waren im Sommer beim Fankongress in Leipzig und haben sich aktuell mit der Forderung nach einem Fanprojekt für Aachen zu Wort gemeldet. Der jüngste Wutausbruch von Uli Hoeneß in München hat dem Thema Entfremdung zwischen Fans und Verein neue Nahrung gegeben. Wie kann man dem begegnen?

Es ist in der Tat so, dass in der Fankultur einiges in Bewegung ist. Das hat sicher damit zu tun, dass die Geschwindigkeit der Veränderung des Fußballs rapide zunimmt. Die Taktungen sind geringer, die Gewöhnungszeit an Neuerungen viel kürzer als in der Vergangenheit. Viele Fans haben berechtigterweise die Sorge, dass sich der Fußball zu einer Kommerzveranstaltung entwickelt, die nichts mit dem Fußballspiel von vor 20 oder 30 Jahren zu tun hat. Fairerweise muss man dazu sagen, dass Prozesse heute drei Jahre dauern, für die es früher 10 oder 15 Jahre benötigte. Aufgrund dieser Neuerungen finden einige den Halt in ihrem Verein nicht mehr, sehen ihre Bedürfnisse des Fanseins nicht als befriedigt an und lassen sich für andere Dinge gewinnen, die uns als Verein nicht gefallen können.

Welche Funktion kann der Verein denn übernehmen?

Es ist sicher nicht die Aufgabe des Vereins, pädagogisch die Rolle des Oberlehrers zu übernehmen und Regeln aufzustellen. Neben der Bereitstellung von organisatorischer Hilfe werden Fanprojekte in Deutschland eingesetzt, um gewisse Themen im Dialog mit den Fans zu erarbeiten bzw. den einen oder anderen für Dinge zu sensibilisieren, die nicht auf den Fußballplatz gehören. Das Fanprojekt soll selbst- ständig sein und nicht als verlängerter Arm des Vereins fungieren. Es macht aus meiner Sicht in jedem Fall mehr Sinn, sich mit den Leuten zu unterhalten, als sie auszugrenzen.

Wie sieht die Arbeit dann konkret aus?

Zuerst wird es darum gehen, einen Ort zu schaffen, an dem man sich treffen kann. Dort werden Leute aktiv sein, die es verstehen, insbesondere mit jüngeren Menschen in Kontakt zu treten und gewisse Punkte zu besprechen. Man spricht ja meistens von Streetworkern. Wie gesagt, Träger des Projektes wird nicht die Alemannia sein. Es gibt Institutionen, die das viel besser können. Die Begegnungsstätte Fußball ist nur das Vehikel, um an die Menschen heranzukommen. Das muss mit der notwenigen Distanz zum Verein passieren.

Zurück zum Thema Kommerz und Vermarktung. Gilt hier das Motto: Friss oder stirb? Heißt das Festhalten an Fußball-Tradition gleichzeitig Absturz in die Regionalliga?

Sicherlich nicht. Ich glaube eher, dass sich ein Verein eindeutig profilieren muss. Das ist aus meiner Sicht etwas, das sich in der modernen Fußballbranche immer klarer abzeichnet. Gerade wir als Alemannia haben sehr gute Voraussetzungen, uns differenziert von anderen darzustellen. Darauf sollten wir setzen. Wir sollten nicht eine Kommerzialisierung mit Marketingstrategien á la Hamburg, Berlin oder München in der Light-Version anstreben. Wir müssen eigene Dinge kreieren, die man ganz klar auf die Alemannia zurückführen kann. Es wird vielleicht in der Dimension länger brauchen, um sich damit durchzusetzen. Aber es gibt aus meiner Sicht keine Alternative. Wir sind in einem Sammelbecken mit anderen Vereinen, die vielleicht keine eigene Identität haben und deshalb auch nicht wahrgenommen werden. Wir haben die Chance, durch unsere Ausprägung eine Marke zu werden. Auch wenn sich jetzt wieder einige über meine Ausdrucksweise aufregen: Bei uns sind die Fans Produktkern dieser Marke. Anderswo konsumieren die Leute die Marke nur, bilden sie aber nicht.

Wie wollen Sie im sich rasant entwickelnden Fußballgeschäft die Wettbewerbsfähigkeit der Alemannia sichern, ohne die eigene Seele zu verkaufen?

Wir müssen jetzt strategische Felder besetzen, um eine Einnahmesituation zu erreichen, die uns auch in zehn Jahren noch konkurrenzfähig sein lässt. Wir bauen ein neues Stadion, um beispielsweise die Mehr-Einnahmen aus dem Bereich Hospitality zu nutzen. Im Ticketing lassen sich durch ein komfortableres System mehr Erlöse erzielen. Das sind Dinge, die wir selbst in der Hand haben – und nur die helfen uns auch in der Entwicklung. Der große Kuchen aus den TV-Geldern ist gegeben, ohne dass wir ihn beeinflussen können. Allerdings muss man bei den Verantwortlichen irgendwann mal erwirken, dass gewisse Gelder nicht immer ausschließlich nach sportlichen Komponenten verteilt werden. Sonst wird die Kluft zwischen den reichen, erfolgreichen Klubs und den armen, die ums Überleben kämpfen, immer größer. Warum sollen nicht die Vereine mehr TV-Gelder bekommen, die einen größeren Beitrag zur Fankultur in der Bundesliga leisten?

Das heißt, ein künftiges Vermarktungsmodell, bei dem alle Vereine X-Prozent mehr bekommen, erhöht zwar die absolute Einnahme, vergrößert aber gleichzeitig den Abstand zwischen den Klubs?

Die absolute Zahl löst immer Begeisterung aus, mit der relativen Zahl haben wir zu kämpfen. Wenn wir genauso 15 Prozent mehr bekommen wie unser Mitbewerber, der im Vorfeld aber einen viel größeren Anteil hatte, dann wird unser Rückstand wachsen. Diese Problematik darf sich nicht so verschärfen, dass für uns keinerlei Möglichkeit besteht, Schritt zu halten. Leider Gottes ist es so, dass im Fußball das Geld eine große Rolle spielt.

Wie kann sich die kleine Alemannia mit ihren Vorschlägen Gehör verschaffen?

Es gibt die Tendenzen, dass sich Vereine in ähnlicher Lage zusammenschließen. Frei nach dem Motto: „Unser Interesse ist euer Interesse und gemeinsam sind wir stark.“ Vielleicht gibt es eine Verteilungs- möglichkeit, die einem speziellen Verein in einem speziellen Umfeld zugute kommt. Wenn der David den Goliath nicht mehr schlagen kann, dann wird es recht langweilig.

Stadionbau, Vermarktung, Fans - im ablaufenden Jahr sind viele Projekte entwickelt worden. Was würden Sie außerdem noch hervorheben?

Für mich ging es parallel zu diesen Projekten darum, mich mit den Kolleginnen und Kollegen sowie der Alemannia an sich vertraut zu machen. Was strukturelle und arbeitsorganisatorische Abläufe angeht, haben wir bereits das eine oder andere verändert. Das Team, das sich hier bei der Alemannia gebildet hat, ist durchaus in der Lage und besitzt die Kompetenzen, die vielfältigen Aufgaben der Zukunft zu meistern. Die Strukturen müssen dazu sicherlich an der einen oder anderen Stelle angeglichen werden. Das ist ein fließender Prozess, der sicher nicht – wie beim Stadionbau mit einem Spatenstich – an einem bestimmten Zeitpunkt endet.

Im Sommer haben sich die Mitarbeiter zu einer Klausurtagung nach Hennef zurückgezogen. Warum diese Maßnahme und was hat sie bewirkt?

Dort hat sich das Team gebildet. Ich hoffe, es ist mir gelungen den Mitarbeitern zu vermitteln, dass wir es in der Hand haben, was mit der Alemannia passiert. Wir sind diejenigen, die den Verein im operativen Bereich nach vorne bringen. Die Rahmenbedingungen setzen andere, wir müssen diese zu einem Erfolg umsetzen – sei es sportlich oder wirtschaftlich. Da gilt es, die Mitarbeiter zu fordern aber sie auch in ihrem Bereich zu fördern.

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