Do, 22. August 2019

Glück gehabt

Kolumne von Sascha Theisen

„Drei Bratwürste und zwei Cola!“ – die Bestellung an der einzig offenen Tivoli-Bratwurstbude unter der Gegengeraden war zwar nicht das, was man Rock n Roll im eigentlichen Sinne nennen würde. Aber trotzdem war sie vor allem deswegen besonders, weil sie eine typische Vater-Sohn-Bestellung war. Kein Rausch mit zu vielen Stadionbieren, stattdessen eine ehrliche Mahlzeit mit zugegeben etwas viel Zucker und Phosphat, was dem Anlass aber durchaus gut zu Gesicht stand. Nun hat der Biss in eine Bratwurst – bei aller berechtigten Glorifizierung – eigentlich nicht sehr viel mit Glück oder gar einem ausgemachten Glücksgefühl zu tun. In erster Linie dient er der Nahrungsaufnahme und dem Abgrätschen des leidigen Hungergefühls. Klar, im Stadion wird die Bratwurst und der routinierte Umgang mit ihr zum leidenschaftlichen Ritual, was die Stadionwurst von der gemeinen Bratwurst in ihrer Bedeutung unverkennbar abhebt. Trotzdem – und so viel Pragmatismus darf an der Stelle ruhig sein – soll auch im Stadion in erster Linie der Hunger ins Abseits gestellt werden, wenn es gilt in sie zu beißen. Der Ort, an dem man in sie beißt und die Gesellschaft, in der man es tut, macht die Stadionwurst dabei aber in trotzdem ein bisschen delikater als man es von einer Wurst am Weihnachtsmarkt, an einer Bude vor dem Baumarkt oder irgendeinem Trödelmarkt erwarten dürfte. Vielleicht liegt richtig, wer sagt, dass die Stadionwurst so etwas wie der Mercedes unter den Würsten ist.

Als ich gestern nach dem Spiel gegen Christoph Metzleders Buben so im Bett lag und den astreinen Fußballabend am Tivoli noch einmal so Revue passieren ließ, schmeckte es noch immer nach Stadionwurst, was ich meiner Frau – die neben mir zum Glück schon schlief – aber nicht verriet und ja auch nichts mit ihr zu tun hatte. Natürlich dachte ich auch noch mal an die Tore, die Jubelschreie und die Zufriedenheit nach dem Schlusspfiff, die ersten drei Punkte und all das.

Und trotzdem: Viel schöner waren die Gedanken an die ziemlich gemütliche und auffallend gut gereinigte gelben Sitzschale auf der ich komplett entspannt in eben meine Bratwurst biss. Neben mir, ebenfalls völlig in sich ruhend meine beiden Jungs, denen es ganz offensichtlich ähnlich gut schmeckte wie mir. Alle drei trugen wir Alemannia-Trikots, alle drei freuten wir uns über die besondere Atmosphäre eines Flutlichtspiels und über die angenehmen Temperaturen, die zu einem echt gelungenen Fußballabend beitrugen. Fast beiläufig diskutierten wir gelungene und fehlgeschlagene Spielzüge von Alemannia. Gemeinsam feuerten wir die Jungs an – mal lauter, mal etwas leiser – ganz so, wie das Spiel und sein Verlauf es uns abverlangte. Wir beobachteten Gary Noel, den wir irgendwie kurzentschlossen ins Herz geschlossen hatten, und drückten ihm die Daumen, dass Fuat Kilic ihn noch bringen würde, was leider als Einziges an diesem Abend nicht gelang. Wir freuten uns gemeinsam über drei Tore, rauften uns die Haare über die, die nicht fielen und klatschten uns ab, als alles vollendet war.

Zugegeben: Der Fußball ist voller Glücksgefühle, die man auf den ersten Blick als deutlich eruptiver, vielleicht sogar orgastischer bezeichnen würde, als eben den Biss in eine Stadionwurst. Der kurze Moment etwa, wenn David Bors am Strafraumeck auf seinen Kollegen Wallenborn und dessen hinterlaufen wartet, um ihm das Kunstleder dann ideal in den Lauf zu schieben, von wo der wiederum so in die Mitte spielt, wie das sonst nur in Lehrbüchern steht, die es in Aachen nicht zu kaufen gibt – das sind so Momente, wo Du denkst: „Wow! Ist das jetzt wirklich passiert?“. Erst Recht, wenn dann auch noch das Tor aus dieser Aktion fällt, überkommt Dich in Deiner Sitzschale ein Glücksgefühl, das Du auf der Stelle lauthals in einen wunderbaren Sommerabend – nicht zu heiß, nicht zu kalt – schreien möchtest. Von diesen Momenten ist er voll, der Fußball: der Jubel nach entscheidenden Toren, der nach schönen Toren, die Erleichterung nach dem Schlusspfiff nachdem Du die komplette Schlussphase nur auf den Ausgleichstreffer gewartet hast, das aber nicht fiel. Die Freude nach Aufstiegen, Nichtabstiegen oder Pokaltriumphen – Happiness made by football.

Und doch: Manchmal verblasst all das das Wilde, das Perfekte und das Unerwartete an einem Spielzug, einem Torschuss oder einem Schlusspfiff gegen das scheinbar Kleine – das, was Dir erst abends auffällt, wenn Du im Bett liegst. Drei Stadionwürste und zwei Cola zum Beispiel.

 

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