Kolumne von Sascha Theisen
Wir waren knapp dran an diesem kalten Abend im Februar 1999. Ich hatte vormittags meinen Schein für ein Seminar irgendwelcher europäischer Studien an der Uni geschmissen, weil mir am dritten Tag der fünftägigen Präsenz-Veranstaltung die arg steile Anfahrt mit dem Fahrrad zu beschwerlich erschien. Einen Tag an dem der FC Bayern in der Stadt und zu Gast am Tivoli war, mit schnödem Uni-Scheiß zu belasten, erschien mir die total falsche Entscheidung. Stattdessen schlief ich aus, hängte das Telefon aus, frühstückte ausgiebig und wartete geduldig auf den Nachmittag, um den Spieltag mit einem zünftigen Kneipenbesuch zu beginnen. Es ist der Fußball, der zählt und das Leben, das Dich belohnt.
Natürlich ging der ausgeklügelte Plan voll auf und so kam es, dass wir knapp dran waren, als wir im Taxi zum Tivoli saßen. Man mag es dekadent nennen, wenn drei klamme Studenten in einem weißen Benz mit gelben Schild auf dem Dach zu einem Fußballspiel fahren. Wenn aber eine halbe Stunde vor dem Anpfiff die letzte Runde geordert wird, bleibt Dir nicht viel übrig. Außerdem blieb uns so immerhin der Anfahrtsplausch mit dem Taxifahrer. Der redete sich förmlich in Rage über die Möglichkeiten die „seine“ und „unsere“ Alemannia aus seiner Sicht Jahr für Jahr verpasse. Es sah mittelmäßig aus zu dieser Zeit. In der Regionalliga Südwest schauten Werner Fuchs und die Seinen eher mit etwas Fernweh an die Tabellenspitze und überhaupt wagte kaum jemand, der noch alle Tassen im Schrank hatte, daran zu denken, dass eine gewaltige Siegesserie genau diese Alemannia doch wieder in den bezahlten Fußball bringen würde. Unser Fahrer bildete da eine Ausnahme. „Guckt Euch nur mal an, was hier los ist. Ich habe es im Urin, Jungs: Dieses Jahr geht was! Dieses Jahr geht was“, orakelte unser Kutscher und wusste nicht, wie Recht er mit seiner Vorahnung behalten sollte. Wir allerdings belächelten ihn leise, stimmten aber trotzdem lautstark zu, ganz in der Hoffnung, dass er uns dafür eine Idee schneller zur Krefelder Straße bringen würde, was er auch tat. Ganz Weltmänner, die wir nicht waren, gaben wir ein üppiges Trinkgeld und verabschiedeten uns höflich bis überschwänglich und freuten uns als er das Fenster runterkurbelte und uns noch einmal daran erinnerte, was dieses Jahr noch möglich war. Vielleicht hätten wir ihn mit reinnehmen sollen, aber alles ging irgendwie zu schnell.
Als wir uns dem Tivoli näherten, strömten für diese Saisonphase gewaltige Zuschauermassen zum einst schönsten Stadion der Erde. 18.000 Menschen, vier unvergessene Flutlichtmasten und eben der große FC Bayern sorgten für einen unvergessenen Fußballabend, der für einen kurzen Moment nach dem ganz großen Spiel schmeckte. Klar – am Ende stand es 5:0 für Sami Kuffour & Co. Aber das Ergebnis war an diesem Abend eh so egal wie Carsten Jancker, weshalb wir es auch erst in den ganz frühen Morgenstunden mit einem hässlich schmeckenden Königs Pilsener in der letzten noch offenen Kneipe Aachens ausklingen ließen.
Was wir weder in diesem Zustand noch am verkaterten nächsten Morgen geahnt hätten: Das scheinbar unbedeutende Spiel war der Auftakt zur wahrscheinlich erfolgreichsten Phase der Vereinsgeschichte. Fast auf den Tag genau fünf Jahre später erledigten Stefan Blank und Erik Meijer den gleichen FC Bayern im Viertelfinale des DFB-Pokals. Weit über 20.000 Menschen im Stadion feierten beim Wiedersehen mit dem gleichen hochkarätigen Gegner eine weiteres Fußballfest, das sie schließlich in Sphären führte, die 1999 im Taxi auf dem Weg zum Stadion nicht mal dieser leicht verrückte Taxifahrer hätte vorhersehen können.
Am vergangenen Montag war Borussia Dortmund zu Gast an einem Tivoli, der sicher nicht das schönste aber eben das einzige Stadion in Aachen ist. In ihren Reihen standen Nationalspieler, Weltmeister, gestandene Bundesliga-Profis. Sie alle gaben sich die Ehre und mehr als 15.000 Zuschauer kamen, um sie sowie eine Alemannia zu sehen, die nicht ganz nah dran ist an der Tabellenspitze der Regionalliga West, aber auch schon lange nicht mehr verloren hat. Ich war nicht dabei an diesem Montag, weil ich nicht mehr in Aachen wohne noch irgendetwas studiere, was ich hinschmeißen könnte. Auch sind die Tage leider gezählt, an denen ich ganze Vormittage auf die Kneipe warten konnte und doch wäre es albern, die Parallelen zu diesem Tag im Februar 1999 zu ignorieren. Also dachte ich kürzlich wieder an diesen Taxifahrer und daran, was er auf dem Weg zum Stadion zu uns gesagt hatte. Vielleicht hat er nach den all den Jahren ja wieder was im Urin? Wer weiß das schon? Fragen würde ich ihn jedenfalls gerne mal. In jedem Fall wird es Zeit mal wieder im dekadenten Benz zum Tivoli zu fahren.
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