Kolumne von Sascha Theisen
Der Präsident der Donnertierchen heißt Jimmy Klitschi. Jedenfalls pflegte mein Vater diese vielleicht wahre Legende immer zu erzählen, wenn es um Themen wie Deutungshoheit im Hause Theisen ging, in deren Rahmen ich in erster Linie meine Füße unter seinen Tisch stellte – was ja auch so war und ich erst heute verstehe. Heute stellen zwar andere ihre Füße unter meinen Tisch, aber zu sagen habe ich immer noch nicht viel. Denn wenn Alemannia wie an diesem Wochenende ein Heimspiel hat, ich aber rund 50 trinkfreudige Gäste zu meiner Geburtstagsfeier am Abend eingeladen habe, ist es meine Frau, die nicht ohne eine leicht theatralisch wirkende Walter-Eschweiler-Gestik zunächst die gelbe Karte in meine Richtung schwenkt und unverhohlen mit der roten droht, sollte ich tatsächlich dran denken, sie mit den Vorbereitungen auf das Fest alleine zu lassen. Wer da anfängt zu diskutieren, hat noch nie länger als zwei Tage am Stück auf der Couch oder im Keller geschlafen. Oder wie es die Schiedsrichter-Legende Wolf-Dieter Ahlenfelder einst ausdrückte: „Junge, steh´auf! Die Rasenheizung ist nicht an!“ Also geht an diesem Spieltag Party, vor Heimspiel. Und außerdem: Klare Entscheidungen sind sowieso das Vorrecht aller Ehefrauen und nicht das der Präsidenten von Donnertierchen.
Klare Entscheidungen im Fußball sind derzeit eher rar gesät. Der Unterhaltungswert der Bundesliga etwa liegt derzeit vor allem mehr darin, die Entscheidungen der Schiedsrichter zu beobachten, als dabei zuzusehen wie bayerischen Flügelstürmern das Syndesmoseband reißt. Rote Karte? Ah nein lieber doch nur gelb. Oder umgekehrt: Gelbe Karte? Nein, das ist rot. „Ribery the Eagle“ – klarer Elfmeter. Videoassistent, Schnauze halten! Zu früh in den Strafraum gelaufen – jetzt sag doch mal was! Tor? Einspruch! Zwei Minuten vorher klares Foul an der Mittellinie. Klare Sache: Der Fußball stellt uns gerade auf eine harte Probe. Das bewegte Bild am Spielfeldrand ist nur eine davon – aber eine, die ähnlich nervt wie der Scheitel von Toni Kroos oder die Augenbrauen von Julian Nagelsmann. Where did it all go wrong, you lovely game?
Gut, dass es Alemannia gibt. Denn hier ist das Video noch das Mittel der Wahl, um die Höhepunkte des verpassten Spiels nachzuholen. Denn wer zum Beispiel an diesem Spieltag die Bierfässer ins traute Heim rollen muss, freut sich gar nicht erst auf die Bundesliga-Konferenz mit all ihren ach so perfekten Videobeweisen, sondern ist angewiesen auf verwackelte youtube-Videos, wortgewaltige Live-Ticker und den ein oder anderen wilden Facebook-Live-Mitschnitt direkt vom iPhone 4. Was für ein Kontrast auf einer Strecke von gerade einmal drei Ligen Unterschied! Während auf der einen Seite Ladies wie Laura Wontorra oder Esther Sedlaczek in schicken Lederjacken und gefilmt von drei bis sieben Kameras jedes noch so kleine Detail des Spieltages sezieren, hat man auf der anderen Seite Mühe überhaupt einen Blick auf das Siegtor aus dem Paul-Janes-Stadion oder eben auf die sechs Tore gegen Rödinghausen (hüstel, hüstel) zu ergattern.
Und während in München, Wolfsburg oder Berlin durchtrainierte Schiedsrichter schnellen Schrittes zu Bildschirmen laufen, um ihre Karten, Elfmeter oder Abseitsentscheidungen zu revidieren, kommt an der Außenlinie des Tivoli der Linienrichter schon an die Grenzen der Erschöpfung, wenn er vor dem Spiel sein gar nicht mal so ambitioniertes Aufwärmprogramm schadlos überstehen möchte.
Ist halt jetzt die Frage, was besser ist und wo man wirklich hinmöchte – Video-Overload oder Video-Upload? Um ehrlich zu sein, habe ich keine Antwort darauf. Was Jimmy Klitschi wohl dazu sagen würde, wenn er was zu sagen hätte? Meiner Frau ist der ganze Kram herzlich egal. Die streicht gleich mal den ganzen Spieltag! Auch eine Lösung – wenn auch nur eine für den Übergang. Denn um noch einmal Wolf-Dieter Ahlenfelder zu zitieren, der seinerzeit sicher keine einzigen Video-Assistenten bemüht hätte: „Bleib auf Deinem Hintern sitzen, sonst komme ich mit Pattex zu Deiner Bank!“.
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