Testspiele - Saison 1908/1909 - 16. Spieltag - Montag 12.04.1909  - 16:00 Uhr
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Spieldaten

Aufstellung

Casseler FV 95: u.a. Albrecht (Tor) – Kerckmann, Herbold, Tölcke, Bönning, Alves, Pfeffermann, Riemann

Alemannia Aachen: Hennes – M. Breuer, Emunds – Catteau, Roolf, Essers – K. Baurmann, Leussler, H. Wollgarten, J. Wesché, Rex

Tore

1:0 Bönning, 1:1 Breuer, 1:2 Essers, 2:2 Bönning, 3:2 Pfeffermann, 4:2 Alves, 5:2 Alves, 6:2

Schiedsrichter:

Lesser (Köln)

12.4.1909: Casseler FV - Alemannia Aachen 6:2

Als wir um 12 in Cassel anlangten, herrschte am Bahnhof noch reges Leben. Der Casseler Fussballverein, der am selben Tage gegen die Leipziger Sportfreunde 1:1 gespielt hatte, war in stattlicher Anzahl zu unserem Empfang erschienen. Wir fanden gleich einen alten Bekannten in dem Schiedsrichter Herrn Lesser vom Kölner F.C. 99 vor. Solide, wie wir nun einmal sind, legten wir uns gar bald zum stärkenden Schlummer nieder und träumten, je nach Optimismus des einzelnen, von Sieg oder Niederlage, Kampf und Tod.

Am andern Morgen bemerkten wir mit Missvergnügen, dass die Sonne das Aufstehen vergessen hatte und der Himmel in neidische, regenschwarze Wolken gehüllt war. Wir wagten dennoch den üblichen Ausflug zur Wilhelmshöhe; aber nicht weit vom Ziele zwang uns ein aussichtsvoller dauerhafter Landregen zur Einkehr. Wir "schullten" etwa eine halbe Stunde, mussten dann aber, da die Zeit drängte, trotz der Bindfäden zurück nach Cassel. Arm in Arm zogen wir singend und lachend bergab, bis endlich der Himmel, offenbar von unserer Laune angesteckt, ein freundlicheres Gesicht aufsetzte und der Sonne ein kokettes Augenblinzeln gestattete. Nach dem Mittagessen folgte zunächst auf Willy Roolfs Bude eine köstliche Rasierscene, an der meine Beschreibung nur verderben könnte; dann gings zum Platz des Casseler F.V. hinaus. Eine zahlreiche Zuschauermenge erwartete uns, als wir den schönen flachen Platz betraten. Unsere Aussichten waren diesmal noch geringer, da Moritz Breuer sich einer Verletzung wegen sehr schonen musste. Unter Herrn Lessers Leitung begann kurz nach 4 das Spiel [...]

Mit der besseren Seite spielend findet sich unsere Mannschaft schnell zusammen und bietet bis zur Pause ein ganz annehmbares Spiel. Zwar verlieren wir durch ein Missverständnis unserer beiden Verteidiger ein überflüssiges Tor; aber Breuer gleicht schnell durch einen gut getretenen Strafstoss aus. und Essers knallt kurz vor der Pause einen abgewehrten Eckball unter die Latte. Nachdem mit 2:1 zu unsern Gunsten gewechselt worden ist, fängt das Unglück an. Schwimm, der bis dahin gelegentlich gut eingegriffen hatte, lässt in weinger als eine Viertelstunde drei Bälle durch, von denen keiner das Netz hätte sehen dürfen. Beim ersten hält er den Ball zu lange und wird ins Tor gedrängt; zwar kann er den Ball noch eben fallen lassen, aber ein Gegner tritt aus 2 m Entfernung ein. Kurz nachher läuft er so zögernd aus dem Tor, dass ein Casseler ihm zuvorkommt. Den dritten Ball suchte er durch Hinwerfen zu halten; er fiel aber zu weit, und der Ball rolte ihm unter der Schulter ins Netz. Inzwischen setzte ein heftiger Wind mit Regen gegen uns ein und erschwerte uns den Kampf ausserordentlich. Dass unter diesen Umständen unsere Mannschaft ganz mutlos spielte, darf nicht Wunder nehmen, zumal da uns trotz verschiedener guter Angriff kein einziger Erfolg vor dem gegnerischen Tor beschieden war. Nachdem noch 2 gute Schüsse der Casseler, für Schwimm unhaltbar, unser Tor entehrt hatten, konnten wir wieder über eine unverdient hohe Niederlage seufzend quittieren. Hören wir noch, was der Schiedsrichter über das Spiel sagt: "Der junge Ersatztormann aus der III. Mannschaft zeigte zwar manche hübsche Leistung, doch fehlt ihm noch die nötige Ruhe und Spielerfahrung; von den 6 Toren, die er durchliess, waren 4 leicht zu halten. Erschwert wurde ihm das Spiel aber durch das zeitweilige Versagen der Verteidiger; Breuer laborierte an einer tags zuvor erhaltenen Verletzung, Emunds ist nicht schnell genug.

Die Läuferreihe ist gut; im Angriff noch besser als in der Deckung; ihr Zusammenspiel mit den Stürmern war vorbildlich. Diese zeigten neben guter Balltechnik und prächtigem Kopfspiel eine kurze, flache Kombination, die nur leider zuweilen in die berüchtigte Aachener Ueberkombination ausartete. Sie schossen scharf und viel, wenn auch nicht besonders placiert, hatten ausserdem auch Pech, da ihnen besonders nach Halbzeit Regen, Wind und der sehr schlüpfrig gewordene Boden sehr hinderlich waren. Sonst hätten wohl 2 schnelle Durchbrüche von Wollgarten nicht durch Sturz oder Wegtreten über den Ball geendigt. Linksaussen versagte manchmal; er hat schon besseres geleistet".

Ich habe dieser für uns ja recht vorteilhaften Kritik einiges hinzuzufügen. Dass Rex versagt haben soll, wüsste ich wirklich nicht; er lieferte an beiden Tagen ein gleichmässig gutes Spiel, das mir besser gefiel als das zögernde Zusammenspiel in der Mitte. Carl Baurmann war, wie er selbst prophezeit hatte, rechtsaussen garnicht an seinem Posten, was umsomehr auffiel, als auch Atteau, besonders am ersten Tage, unter dem Durchschnitt war. Es spricht sehr gegen die Stürmerreihe, dass sie an beiden Tagen auch nicht ein einziges Tor fertig brachte, unsere drei Erfolge rühren von Breuer und Essers her. Die übrigen genügten, ohne irgend etwas besonderes zu leisten. Schwimm ist in Lessers Kritik etwas zu scharf mitgenommen; dass er 3 von den 6 Toren verhüten konnte, ist allerdings auch meine Ansicht.

Wer da meint, der schmerzhafte Schlag hätte uns Spielern die Stimmung verdorben, ist sehr im Irrtum. Zwar grollte noch beim Umkleiden mancher über sich und andere; aber schliesslich hatte doch jeder das Gefühl, seine Pflicht getan zu haben. Wem einmal das Glück nicht wohl will. dem nutzt alle Anstrengung nichts. Und was uns das Glück im vorigen Jahre in Bremen und Hannover zuviel gezollt hatte, das zog es uns diesmal eben mit Zinsen wieder ab.

Ein feuchtfröhlicher Kommers mit Damen, der uns die liebenswürdige Kasseler Gesellschaft von der heitersten Seite zeigte, beschloss den Tag. Um 2 Uhr nachts begann die Rückfahrt, die ähnlich wie damals von Hannover aus Mangel an Platz ziemlich missmutig anhib, später aber doch, wie alles auf der Ostertour, in ungetrübte Heiterkeit ausartete. Ja, trotz der schlechten Resutate dieser Reise, muss schliesslich der Gesamteindruck des Unternehmens versöhnlich sein; es hat die Beziehungen Alemannias zu 2 spieltüchtigen und bekannten deutschen Vereinen angeknüpft, es hat die Unternehmungslust und Tatkraft unseres Vereins neu bewiesen, es hat auf die Teilnehemr in mancher Hinsicht belehrend und fördernd eingewirkt.

Und wenn man auch über die Leistungen der ersten Mannschaft in dieser Spielzeit sehr geteilter Ansicht sein kann, eine Belohnung hatte sie, die in dieser Saison Sonntag für Sonntag die schwersten Spiel auszufechten hatte, gewiss doch verdient. Das ist ihr Ostern in reichem Masse zuteil geworden; die Reise war für alle Teilnehmer ein grosses Vergnügen und gewiss werden sie alle eine angenehme Erinnerung daran zurückbehalten, selbst der jüngste Weltreisende Schwimm, wenn ihm auch vielleicht nicht grade alles nach der Nase war.

(Nachrichtenblatt d. F.C. Alemannia, No. 9 / 1. Mai 1909)

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