FV Holstein Kiel: u.a. Friese (Tor) – Dehning, Bork, Fick
Alemannia Aachen: Laumen – M. Breuer, Riechert – J. Boeven, Roolf, Essers – Wolff, T. Boeven, H. Wollgarten, J. Wesché, Rex
0:1 Wesché (37.), 1:1 Dehning (42.), 2:1 Fick (65.), 3:1 Fick (85.)
Ais ich anfangs Dezember von der Absicht der Alemannia hörte, um Neujahr eine Reise nach Norddeutschland zu unternehmen, wurde in mir der Wunsch rege, mich als Freiwilliger der Mannschaft anzuschliessen. Erwartete ich doch, an der Wasserkante viel Neues und Interessantes zu sehen. Diese meine Erwartungen haben sich nicht nur erfüllt, nein, sie sind weit übertroffen worden. Nachstehend möchte ich die Erlebnisse unserer Hamburger und Kieler Festtage, dich ich als "Trainer" der Mannschaft mitgefeiert habe, schildern.
Sieben Spieler und der "Trainer" hatten sich zu dem Zug um 3 Uhr hier am Bahnhof eingefunden; zwei von der Mannschaft waren schon voraus und zwei wollten mit dem Nachtzuge nachkommen. Bis Cöln verlief die Reise ziemlich ruhig. In dem direkten Zug Cöln–Hamburg richteten wir uns jedoch schnell häuslich ein, die Stimmung wurde bald eine gehobene, besonders als J. Essers die grosse, vom Mitglied Schmitz gestiftete Futterkiste öffnete, unseren Blicken dier herrlichsten Sachen an Essmaterialien darbietend: Prachtvolle Leberwurst, Fleischwurst, ein halber Schweinskopf, Ferkelspötchen, und es war ein herzerquickender Anblick zu sehen, mit welcher Lust die Gefährten letztere vertilgten. Dieses fürstliche Abendessen wiederholte sich während der Fahrt noch einmal. Dazwischen und danach wurde gekartet, diverse Getränke aus den Vorräten angefahren oder sonst allerlei Kurzweil getrieben. Namentlich hatte ein grosser steifer Filzhut viel zu leiden. (Wollen Sie sich mit mir schlagen?) So war wohl niemandem die 9stündige Fahrt zu lang geworden, als unser Zug 12,9 Uhr in Hamburg einlief.
Auf dem dortigen Bahnhof erwarteten uns die Herren von der Victoria, die uns zum Hôtel geleiteten, und mit denen wir die ersten Neujahrswünsche wechselten. Im Hôtel jedoch gabs für uns keine Rast, wir mussten ja direkt nach St. Pauli, um Hamburg von seiner schönsten Seite kennen zu lernen.
In St. Pauli empfängt uns ein echt karnevalistisches Treiben; eine grosse bunt angezogene Menge, Clowns mit Pritschen, die auf alles tote und lebendige losschlagen, Pseudomusikkorps usw. – alles wogt auf den Strassen hin und her. Kein Verweilen gibts, direkt gehts in das Restaurant, wo die Victoria tagt. In demselben herrscht eine dicke, weingeschwängerte Luft; Temperatur ungefähr Siedehitze. Wir sehen ein Gewimmel von mehr oder weniger nicht mehr ganz nüchternen Menschen beiderlei Geschlechts, die nach dem Takte der Musik singen, tanzen oder an Tischen sitzen und sich gegenseitig ewige Liebe und Treue schwören. Mühsam bahnen wir uns einen Weg zu den weiter hinten im Lokal sitzenden Victorianern, die in ihrer Sylvesterstimmung uns freudig aufnehmen. Soweit unser nüchterner Verstand dies zulässt, geben wir uns redliche Mühe, an der allgemeinen Belustigung teilzunehmen. Einigen Don Juans von uns gelingt dies auch ganz gut. Lange dauert das Vergnügen so wie so nicht, denn unser vernünftiger Spielführer mahnt zum Aufbruch, weil die Zeit immer weiter rückt und wir doch einige Stunden Schlaf nötig haben; um 6 Uhr soll die Nacht für uns vorbei sein. Also brechen wir auf zum Hôtel und suchen nach einem Erfrischungsgetränk unsere in der fünften Etage gelegenen Kähne auf.
Die nun das Glück hatten, an der Strasse zu kampieren, wie ich, konnte sich vergebliche Mühe geben, einzuschlafen; ich hätte nie gedacht, dass die Hamburger am Sylvester so radaulustig sind. Ein bisschen unruhiger Schlummer, und schon war's Zeit zum Aufstehen. In aller Herrgottsfrühe, wo's noch finster ist, packen wir uns wieder auf zum Bahnhof, um mit demselben Zug nach Kiel zu fahren, in dem Roolf und Wesche soeben angekommen sind. Grosse Freude des Wiedersehens – und dann sucht sich jeder eine Bank aus, um noch etwas von der Nacht "mitzukriegen". Doch bald erwachen die Lebensgeister wieder, und als wir uns Kiel gegen 9 Uhr nähern, ist die ganze Gesellschaft frisch und mobil wie nie.
Auf dem Kieler Bahnhof natürlich grosser Empfang durch Riechert und einige Herren des Fussballvereins "Holstein". Nun gehts hinaus in die frische Morgenluft, die uns allen so gut tut. Ein jeder ist voller Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. Wir bummeln ein Stück den Hafen entlang; noch herrscht Nebel, sodass drüben die Germaniawerft und die vor Anker liegenden Kriegsschiffe nur undeutlich zu sehen sind. Der bereitstehende Personendampfer über die Kieler Föhrde gibt schon das Zeichen zur Abfahrt. Ein kurzer Trab bringt uns noch an Bord. Wolff ist auch inzwischen auf dem Plan erschienen, sodass wir vollzählig sind. Der Dampfer stösst ab; ade, festes Land! Jwtzt hat auch der Himmel ein Einsehen; der Nebel wird zusehends lichter, die Wolken teilen sich, und siegreich dringt die Sonne durch, uns allen ein wundervolles Panorama zeigend. Die unklaren Vorstellungen und Erwartungen, die wir uns vom Kieler Hafen gemacht hatten, wurden nicht nur erfüllt, sondern übertroffen. Majestätisch und stolz zeigt sich unseren Augen ein Teil Deutschlands Seemacht. Wir sehen die neuesten und allergrössten Kriegsschiffe, sowie Panzerkreuzer, Torpedoboote und Unterseeboote. Ganz am Horizont erscheint der Kieler Leuchtturm, rechts drüben waldige Uferhöhen, am linken Ufer schöne Restaurants, Bootshäuser, und dies alles belebt von unzähligen jagenden und sich auf den Wellen wiegenden Möven.
In Holtenau steigen wir an Land, sehen uns den Anfang des Kaiser-Wilhelm-Kanals an und besichtigen die Schleusen, wo gerade zwei Dampfer passieren. Nach einem Imbiss in einem nahe gelegenen Restaurant nimmt uns der Dampfer wieder auf, um uns in umgekehrter Richtung zurückzubringen.
An der Reventloubrücke nehmen wir eine Motorpinasse, um zu den Kriegsschiffen hinüberzufahren. Steuermann Riechert fährt uns glücklich zur "Westfalen", einem Schlachtschiff I. Klasse, das jedoch der Staatsgeheimnisse wegen, die in ihm schlummern, nicht besichtigt werden darf. Deshalb steuern wir weiter zur "Gneisenau", einem Panzerkreuzer mit 700 Mann Besatzung, den man uns erlaubt, in Augenschein zu nehmen. Erklärt werden uns die Geschütze, Ankereinrichtungen, Kabinen, kurz alles war für den Laien interessant ist. Da die Zeit drängt, – es war mittlerweile fast 1 Uhr geworden – verlassen wir die "Gneisenau" und werden von unserer Pinasse wieder an Land gebracht, wobei Riechert am Steuer durch Essers abgelöst wird, der sich als "Astronom" nach den Sternen richtet und uns somit sicher in den Hafen bringt. Ein vorbeifahrender Tram bringt uns zum Spielplatz. Das Publikum hat wahrscheinlich noch nie soviel Aachener zusammengesehen, deshalb rührt es sich gar nicht, als unsere elf Jungens auf dem Platz erscheinen. Gegen 1/2 3 beginnt das Spiel.
Ueber dieses möchte ich mich ganz kurz fassen, weil auch wirklich nicht viel darüber zu berichten ist. Unsere Leute arbeiten anfangs ganz gut. Das erste Tor fällt für Aachen. Bald danach gleicht "Holstein" durch einen schönen Schuss aus und mit 1:1 geht's in die Pause. Danach jedoch hört jegliche Kombination bei unseren Stürmern auf, namentlich in der Mitte kennt man kein Ballabgeben mehr. Jeder hält den Ball solange wie möglich und will eigennützig durchdringen, was aber bei der wachsamen Verteidigung Holsteins natürlich nie gelingt. Holsteins Stürmer dagegen sind vorbildlich im Angriff. Unsere Verteidiger und die Mitte haben tüchtig zu arbeiten, damit das Spiel mit nur 3:1 gegen uns zu Ende geht.
Die geselligen Holsteiner veranstalteten im Klublokal eine sehr nette Kneipe, bei der unsere Alemannen die Niederlage schnell verschmerzten, und der gesunde Humor wieder zum Durchbruch kam. Das dicht am Bahnhof gelegene Hansahôtel mussten wir auch noch kennen lernen. Hier wurden einige von unseren Leuten so urfidel, dass sie kleben blieben, als um 9 Uhr bereits die übrige Mannschaft nach Hamburg zurückfuhr. Die Kieler haben wohl selten solch animierte Gäste wie diese in ihren Mauern beherbergt. Als wir um 11 Uhr auch aufbrechen mussten, war uns die Zeit viel zu schnell vergangen. Riechert mit der Hausdienerkappe trug zu unserer Erleichterung das Gepäck. Während der Fahrt produzierte sich Esers als Harmonikakünstler, Stierkämpfer, Sänger, Athlet, ach! ich weiss es nicht mehr, worin er noch seine Kunst gezeigt hat. Im Hôtel in Hamburg stiessen wir wieder zu den anderen, den solideren, die gerade der Nachtruge pflegen wollten. Zwei Mitgliedern, die in Coffern gedient hatten, spielten zum Gaudium der übrigen auf schnell improvisierten Musikinstrumenten flotte amerikanische Negermelodien, nach denen die anderen tanzten, zum Schrecken der in ihren Nachtruhe gestörten Hôtelgäste. Sehr ungern mussten wir das Musizieren unterlassen und auch zu Bett gehen – es war aber wieder sehr spät – –
(Nachrichtenblatt d. F.C. Alemannia, No. 2 / 16. Januar 1910)
Diese Seite nutzt Cookies für Google-Analytics. Sie können Cookies akzeptieren oder ablehnen und Ihre Entscheidung jederzeit ändern.