Sa, 28. März 2015

"Das Auge Alemannias"

Die Kolumne von Sascha Theisen zum Spiel gegen RWO

Fußball ist immer eine Frage der Perspektive. Man geht ins Stadion und man sieht seine Mannschaft immer so, wie man sie halt gerne hätte. Genau auf diese Weise kommen all diese unverdienten Heimniederlagen zustande, die natürlich so niemals hätten passieren dürfen, denn „gegen so eine Gurkentruppe wie die darfst Du im Leben nicht verlieren“. Umgekehrt führt der leicht verklärte Blick bei einzelnen Spielern nicht selten zu kurz bevorstehenden Nationalelfberufungen. Denn – hey – wenn Markus Hoffmann und Peter Hackenberg so weiter spielen, wie zum Geier will Jogi Löw dann noch ernsthaft an denen vorbei kommen? Mats Hummels – tsss! Ein Glück ist diese einseitige Sichtweise auf das Spiel und seine Akteure überall gleich und gehört zum Fußball, wie das Weizenbier in die Hand des Hackl Schorsch. Erst kürzlich dachte ich noch in einem schwachen Moment darüber nach, ob Taku Ito sich eigentlich schon in japanischen Auswahlteams fest gespielt hat. Schließlich weiß kaum einer so gut wie ich, wie es ist, sich von den Aschenplätzen der Sportfreunde Düren hoch zu spielen, eben weil ich mich einst bei meinen Gastspielen in Nord-Düren alles andere als hoch gespielt habe. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Jedenfalls ist der etwas euphorische Blick auf den guten Ito meine ganz eigene Sichtweise, mit der ich im unmittelbaren Freundeskreis dann auch eher Gelächter als Zustimmung ernte.

Gut, dass es in einem solchen subjektiven Umfeld immer auch Leute gibt, die den Überblick im wahrsten Sinne des Wortes behalten. Meist sind das die Menschen, die durch ihre Arbeit unmittelbar und unbestechlich zeigen, wie es wirklich ist – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Die schreibende Zunft ist das nicht – wie man leicht an mir erkennen kann. Aber die Jungs, die den Finger am Abdruck ihrer Kamera haben und das große Spiel fotografieren – das sind die unerschütterlichen Berichterstatter des Spiels. Klar kann man mit dem richtigen Winkel die Parade von Freddy Löhe leicht erhöhen, aber am Ende ist der Junge eben auch so geflogen, um das Leder aus dem Winkel zu fischen.

Alemannia wird seit der Zeit, in der es finanziell, emotional und sportlich rapide bergab ging, von einem noch recht jungen dieser Bilder-Matador begleitet: Joe Gras. Zugegeben: Seine Haarfarbe ist leicht gewöhnungsbedürftig, weil sie irgendwo zwischen blondierter Tolle und dunklem Haarkranz vor sich hin wächst. Aber am Ende tut auch das nichts zur Sache. Denn, der junge Mann, den alle nur Joe nennen, tigert während eines Spiels die Seitenlinie in Landgrafscher Manier rauf und runter, um ihn festzuhalten, diesen perfekten Alemannia-Moment. Dabei hat er immer das Auge an der Linse, ohne aber auf der anderen Seite zu vergessen, dass man die perfekten Momente nicht nur festhalten, sondern eben auch noch bejubeln muss.

Ich bin sicher, in Bundesliga-Zeiten gab es deutlich mehr und vielleicht sogar besser ausgebildete Fotografen an der Seitenlinie des Tivoli. Aber jemanden mit mehr Leidenschaft und Herzblut für schwarz und gelb dürfte in all den Jahren kaum an ihr gelauert haben. Wer Joe Gras Bilderkiste bei Facebook folgt, kommt daher in den Genuss von Fotos, die mit jeder Faser, mit jedem Pixel die Passion für einen Verein leben, der selbst ja vor gar nicht all zu langer Zeit noch mausetot war. Es sind vor allem Leute, wie Joe, die einen hoffnungslosen Patienten eben genau dann am Leben hielten, als sich viel zu viele andere von ihm abkehrten, einfach weil kein Geld mit seinen Bildern zu verdienen war.

Nun las ich vor ein paar Tagen die erschreckende Nachricht, dass Joe, dass „das Auge Alemannias“ aufgrund einer Krankheit bis auf weiteres von seiner großen Liebe ausgeschlossen ist. Kein Spiel, keine Tore, keine Paraden von Freddy Löhe für ihn! Was für eine schwere Prüfung für jemanden wie ihn. Ich weiß leider nicht genau, was er hat, aber es kann nicht ganz ohne sein, wenn dadurch gar der Weg zu Alemannia, zu seiner Alemannia zu lang wird. Eine schwere Prüfung ist dieser hoffentlich nur kurzzeitige Verlust am Tivoli aber auch für alle, die mit Alemannia zittern, hoffen und träumen. Denn wer behält jetzt den Blick für´s Wesentliche, während wir Hackenberg bei Jogi wähnen, Taku Ito einbürgern oder zu Hause Gefahr laufen, völlig unverdient zu verlieren? Niemand! Keine Frage: Alemannia braucht sein Auge zurück und das schnell! Momentan sind wir mindestens auf einem Auge blind. Deshalb von ganzem Herzen von dieser Stelle: Gute Besserung! Und als allererstes wird mein Blick in Zukunft von meinem Platz aus runter zur Seitenlinie gehen, immer in der Hoffnung auf jemanden, der die Seitenlinie entlang tigert und klarer sieht als alle anderen.

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